Glück und Gesundheit – das ist wahrscheinlich die am häufigsten gebrauchte Formulierung auf Glückwunschkarten! Offenbar sind Glück und Gesundheit u. a. auch Lebensziele. Wie sind Glück und Gesundheit miteinander verbunden? Verstärken sich Glück und Gesundheit gegenseitig? Ist der Gesunde immer auch glücklich (bzw. glücklicher) oder der Glückliche immer auch gesund (bzw. gesünder)?

Sind Glück und Gesundheit einzig und allein Geschenke eines gütigen Geschicks oder kann ich Glück und Gesundheit auch selbst beeinflussen – und wenn ja, dann wie?

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(1) Sind Glückliche gesund und Gesunde glücklich?

Die gegenseitige Beeinflussung von Glück und Gesundheit ist noch wenig erforscht.
Dagegen gibt es vermehrt Hinweise dafür, dass Unglücklichsein mit Krankheit korreliert.

Es gibt endokrin-metabolische Parallelen zwischen Depression, Metabolischem Syndrom, Diabetes mellitus und KHK. Eine wesentliche Ursache dafür ist ein Kortisol-Dauerfeuer bei anhaltendem Disstress und bei der sog. Stress-Depression, für die das Gefühl kennzeichnend ist, nur noch von außen bestimmt und selbst hilflos zu sein. Das erzeugt Angst und das Risiko für eine Depression ist bei Menschen mit Angstproblemen bis zu 12-fach erhöht.

Das Risiko, innerhalb von 6 Monaten zu sterben, steigt bei depressiven Infarktpatienten um das 3-4-fache. (N. Frasure-Smith et. Al., Montreal, JAMA, Vol. 270, No. 15 (1993), S. 1819-1825). Bei einer US-amerikanischen prospektiven Kohortenstudie mit fast 100 000 Frauen hatten depressive Frauen ein 58% höheres Risiko, an einem Herzinfarkt zu sterben als Frauen ohne Depressionen. Auch nach Korrektur durch Herausrechnung der Risikofaktoren blieb das Risiko der Depressiven erhöht, so dass Depressionen einen unabhängigen Risikofaktor für kardiovaskuläre Ereignisse darstellen. ( Wassertheil-Smoller, S., et. al., Arch Intern Med 164 (2004) 289 – 298). Kardiovasculäre Risikofaktoren, die mit der Lebensweise zusammenhängen (wie z. B. Rauchen, Übergewicht, zu wenig körperliche Bewegung) standen in direktem Zusammenhang mit der seelischen Verfassung.

Abb.1: Auswirkungen von Dauerstress (Wolfgang Hoffmann)
Abb. 1: Auswirkungen von Dauer-Stress

Bei andauerndem Disstress und atypischen Depressionen, die mit einem Hyperkortisolismus (s. Abb.1) einhergehen, waren häufig die Sexualhormone vermindert. Auch erhöhte Thrombozytenaggregation und vermehrte Insulinresistenz bis hin zum Diabetes mellitus wurden beobachtet. Die kardiale Mortalität bei Depressiven ist 4- bis 6-mal erhöht. (Ernst-Ulrich Vorbach, Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie Darmstadt, 2002).
Eine depressive Verstimmung verschlechtert den Immunstatus bei AIDS. Ein aktiver Bewältigungsstil steigert dagegen die Aktivität der natürlichen Killerzellen. Gestresste, unglückliche Menschen sind weniger resistent gegen Grippeviren und erholen sich schlechter nach Operationen als glückliche Menschen.

Unweigerlich wirkt sich Dauerstress negativ auf die Gesundheit aus. Er schwächt insbesondere das Immunsystem. Nach Frankl erlebt man Stress, wenn man etwas tut, was man eigentlich nicht will, wenn man etwas macht, indem man keinen Sinn sieht, wenn man über eine Situation oder Tätigkeit keine Kontrolle mehr hat, wenn man sich also als fremdbestimmt erlebt. Entscheidend ist immer, wie der Gestresste den Stress bewertet.
So wie Stress, der einen überfordert, unglücklich macht, so kann anderseits die Auseinandersetzung mit einer Herausforderung, der man sich gewachsen fühlt, durchaus glücklich machen. Unglücklich sein oder sich unglücklich fühlen ist offenbar der Gesundheit abträglich. Ist dann der Umkehrschluss erlaubt, dass glücklich sein oder sich glücklich fühlen, die Gesundheit fördert?

Nach einer 2005 in London erfolgten Untersuchung hatten glückliche, gut gelaunte Menschen relativ geringe Mengen des Stresshormons Cortisol im Blut und nach mäßiger körperlicher Belastung stieg auch der Gerinnungsfaktor Fibrinogen im Blut weniger an und sie hatten eine niedrigere Pulsfrequenz. Die inflammatorische und kardiovasculäre Ausgangssituation war somit besser; denn Cortisol fördert Bluthochdruck, Diabetes und Magenleiden und schwächt das Immunsystem und drückt auf die Stimmungslage: Depressive neigen ja auch zu erhöhten Cortisolspiegeln. (Andrew Steptoe et. al., ProcNatl Acad Sci 2005, Untersuchungen des University College London).

Abb.2: Auswirkungen von Lachen (Wolfgang Hoffmann)
Abb. 2: Auswirkungen von Lachen

Schon lange weiß der Volksmund: Lachen ist die beste Medizin (s. Abb. 2). Tatsächlich steigen die Abwehrkräfte durch häufiges Lachen. Das wird auf Endomorphin-Ausschüttungen mit dadurch induzierter Lymphozytenaktivität mit vermehrter IgA-Ausschüttung zurückgeführt. Inzwischen gibt es eine „Lachtherapie“ (Kathleen Dillon), die 15 Minuten Lachen provoziert, indem die Probanden humorvolle Filme ansehen. Ein weiteres Beispiel für ein das Glücksgefühl und gleichzeitig die Gesundheit förderndes Verhalten ist das Küssen: nach einem Morgenkuss soll die Unfallhäufigkeit und die Anfälligkeit für Herz-Kreislauferkrankungen geringer sein. Auch die durch heitere, harmonische Musik (z. B. Barockmusik von Vivaldi und Bach oder Kompositionen von Mozart) oder durch Tanzen ausgelöste glückliche Stimmung soll einen positiven Einfluss auf die Gesundheit, insbesondere auf die Reduktion von Herz-Kreislauferkrankungen, haben. Gelassenheit durch ausreichenden Schlaf und Entspannung (3 mal pro Woche 45 Min. PMR oder AT) steigert die Aktivität der natürlichen Killerzellen. Günther Bien (1) weist darauf hin, dass Hochbetagte bei z. T. sehr widersprüchlichen Verhalten gegenüber den bekannten Risikofaktoren eines gemeinsam hatten, nämlich eine positive Einstellung zu allen ihren Lebensumständen.

Trotz all dieser Hinweise für die gegenseitige Beeinflussung von Glück und Gesundheit muss man leider feststellen, dass dieses Thema leider noch wenig erforscht ist. Vielleicht liegt es auch daran, dass „Gesundheit“ und „Glück“ keine scharf definierten Begriffe sind. Jeder versteht möglicher Weise darunter etwas anderes.
Was meinen wir genau, wenn wir Glück und Gesundheit wünschen?

Gehen wir zunächst der Frage nach:

(2) Was ist unter „Glück“ zu verstehen?

Zwei Zitate zeigen, dass Glück ein vieldeutiger Begriff ist:
Sich glücklich fühlen können, auch ohne Glück – das ist Glück“. (Marie von Ebner-Eschenbach) und: „Derjenige pflegt tatsächlich glücklich zu sein, der sein Glück nicht dem Glücke verdankt“ (Artur Górski). In der deutschen Sprache ist der Begriff „Glück“ mehrdeutig (Polysemie des Wortes „Glück“). Offensichtlich hat das Wort “Glück” drei verschiedene Haupt-Bedeutungen:

  • Glück als der Gefühl der Glückseligkeit
    Kurzzeitiges „Wohlfühlglück“ (nach Schmid (2)):
    (griech. Eudaimonia/ lat. felicitas/ franz. bonheur/ engl. happiness)
    Andauerndes „Gefühl der Fülle“ (nach Schmid (2)):
    (ahd. salig/ griech. makariotes bzw. makarion/ lat. beatitudo)
  • Glück als zufällige Gunst der Umstände
    („Zufallsglück“ nach Schmid (2)) :
    Unerwartetes, unvorhersehbares, nicht herstellbares, unverdientes, durch ein günstiges Schicksal zugeteiltes Glück
    (mhd. Gelücke, Heil/ griech. Eutychia, Tyche/ lat. fortuna/ franz. La bonne chance, fortune/ engl. luck, fortune)
  • Glück als Ziel menschlichen Strebens:
    „Machbares“, besser anstrebbares (intendierbares) Glück, Glück = Sinn

Das Gefühl, glücklich zu sein, unterscheidet sich nicht nur darin, wie lange es andauert, sondern auch darin, auf wie verschiedene Weisen sich ein Glücksgefühl ausdrücken kann (s. Abb. 3):

Abb.3: Verschiedene Möglichkeiten eines Glücksgefühls (Wolfgang Hoffmann)
Abb.3: Verschiedene Möglichkeiten eines Glücksgefühls

Offensichtlich lassen sich die verschiedenen Glücksqualitäten unterschiedlichen Seelenanteilen zuordnen. Im Menschenbild von Viktor Frankl mit seinen drei Dimensionen Körper, Psyche und Geist*) ist die Lust mehr auf die körperliche, das Vergnügen mehr auf die psychische und Freude und Erfülltsein mehr auf die geistige Dimension bezogen, während Zufriedenheit, Behaglichkeit, Flow (s. u.) und Seligkeit sowohl eine Nähe zur psychischen als auch zur geistigen Dimension aufweisen können, denn offenbar haben Freude, Erfülltsein, Seligkeit und Zufriedenheit auch etwas mit Sinnfindung und Sinnerfüllung zu tun. Im religiösen Sprachgebrauch hat Seligkeit eine rein geistig-spirituelle Bedeutung.

Wenn Glück mehr in der geistigen oder aber mehr in der psychischen Dimension empfunden wird, so wirkt sich das auch auf die Dauer der Glücksempfindung aus. Sieht man das Glück aus einer rein somatischen, biologistischen bzw. materialistischen Perspektive, so kann man Sigmund Freud zustimmen, wenn er sagt: „Was man im strengsten Sinne Glück heißt, entspringt der eher plötzlichen Befriedigung aufgestauter Bedürfnisse und ist seiner Natur nach nur als episodisches Phänomen möglich“. Freud zieht daraus auch die Konsequenz: „Dass der Mensch ‚glücklich‘ sei, ist…im Plan der „Schöpfung“ nicht enthalten. Trotzdem strebt der Mensch von Natur aus nach Glück, was auch immer er dafür hält.“ (Alle Unterstreichungen von W. H.). So schwelgt die menschliche Phantasie seit Urzeiten in Paradies-Vorstellungen nach Art des Schlaraffenlandes, wo man sich im süßen Nichtstun der totalen Regression hingeben kann, obwohl andererseits die Volksweisheit mahnt: „Nichts ist schwerer zu ertragen / als eine Reihe von guten Tagen“ – in Übereinstimmung mit Georg Christoph Lichtenberg, der meint: „Ein langes Glück verliert schon bloß durch seine Dauer“ oder mit G. B. Shaw: „Ein immerwährender Feiertag – die beste Definition der Hölle“ (zitiert nach Günther Bien (1)).

In obigen Zitaten wird Glück in erster Linie als Lusterlebnis infolge Befriedigung aufgestauter Trieb-Bedürfnisse verstanden. Freud denkt da sicher vor allem an sexuelle Triebbedürfnisse. Aber es gibt auch noch kurzfristige Glückserlebnisse mit anderen Qualitäten, z. B. den „Flow“, einem von Mihaly Csikszentmihalyi (2) eingeführten Glücksbegriff. „Flow“ können wir dann erleben, wenn wir ein klares Ziel mit einer unmittelbaren Rückmeldung vor uns haben, wenn wir uns mit unserer gesamten Aufmerksamkeit auf die anstehende Aufgabe konzentrieren müssen, wenn unsere individuellen Fähigkeiten in außerordentlicher Weise herausgefordert werden und wir aber dennoch das Gefühl haben, Herr der Lage zu sein. Dann können Handeln und Bewusstsein verschmelzen zu einem Zustand des „Hingegebenseins“, in dem nicht mehr zwischen Selbst und Umwelt unterschieden werden kann und in dem die Grenzen zwischen Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft weitgehend aufgehoben sind. Dieser Zustand der Selbstversunkenheit wird dann als hoch beglückend empfunden. Objektiv gesehen dauert er nur kurz an, aber er kann lange nachwirken. Flow kann sich bei einer Sinn-Verwirklichung einstellen, z. B. bei einem Chirurgen während einer Operation. Ein Flow-Erlebnis kann aber auch ein Geldschrank-Knacker bei seiner Arbeit haben, wobei es dann schwer fällt, von einer Sinn-Verwirklichung zu sprechen. Gemeinsam mit der Sinn-Verwirklichung hat das „Flow“-Erleben, dass zu Beginn ein intentionaler Akt, eine anfängliche Investition an Aufmerksam-keit und Disziplin und somit der Einsatz von „Aktivierungsenergie“ nötig ist. „Flow“ gibt es also nicht zum Nulltarif. Bei „Flow“-Erlebnissen sind auch andere Menschen wichtig, weil ihre Anwesenheit Ziele erzeugt und weil sie Rückmeldungen geben. Auf letzteres ist die Sinn-Findung nicht angewiesen.

Nicht lang währende Glücksmomente, die dauerhaft nachwirken können, stellen ekstatische Glückserlebnisse, sogenannte Gipfelerlebnisse sowie andere Lebenshöhepunkte dar, die fast immer mit Sinn-Erlebnissen verknüpft sind. Während ekstatische Glückserlebnisse das Gefühl vermitteln können, z. B. mit der Schöpfung eins zu sein und an der Ewigkeit zu partizipieren, können andere Lebenshöhepunkte auch institutionalisierte Formen annehmen wie Feste, die einen neuen Lebensabschnitt einleiten.

Das zufällige Glück und das selbst gestaltbare Glück begegnen sich momentan im Kairos, im „rechten Augenblick“. Einen solchen Kairos muss einem das Schicksal gewähren. Man muss den Kairos dann aber auch bemerken und wahrnehmen. Hier wird besonders deutlich, wie wichtig für das Erleben von Glück eine gewisse Glücksfähigkeit und Glücksbereitschaft ist! Das Schicksal macht eine Tür auf, und ich muss das bemerken und es wagen, durch diese Tür hindurchzutreten und dafür die Verantwortung zu übernehmen. Günther Bien (1) beschreibt den glückbegünstigten Menschen als denjenigen, „der sich zur rechten Zeit am rechten Ort befindet, und der gerade jetzt das Richtige und das jetzt Notwendige tut“ und erfügt hinzu: „Aber nicht nur das Gelegenheitsglück, sondern das Leben insgesamt ist eine einmalige Chance, die es wahrzunehmen gilt“.

Diese oben beschriebenen nur kurz dauernden, aber nachhaltig wirkenden Glücksmomente werden sich i. G. zu den biologisch-chemischen Lustbefriedigungen wohl nur bei solchen Menschen einstellen, die glücksbereit sind und die sich in ihrer geistigen Dimension öffnen. Ein derartiges Glück hängt von der subjektiven Wahrnehmungsfähigkeit und von der eigenen Bereitschaft ab, sich voll einzubringen (notwendiger Einsatz von „Aktivierungsenergie“)! So wird z. B. ein Bergsteiger nur dann ein Flow-artiges Gipfelerlebnis erfahren, wenn er schon vorher Freude am Bergsteigen hatte und sich dem Gipfel voller freudiger Erwartung genähert hat. Wenn er aber den Gipfel nur aus der alleinigen Motivation heraus bestiegen hat, dadurch ein Glücksgefühl zu erleben, wird er höchstwahrscheinlich enttäuscht werden. Der Berg muss gerufen haben! Paradoxer Weise werde ich das Glück verfehlen, wenn mein Denken und Handeln nur darum kreist, wenn ich ausschließlich danach trachte, mich selbst glücklich zu machen bzw. glücklich zu fühlen. Frankl bemerkt dazu: „Je mehr es einem um die Lust geht, desto mehr vergeht sie einem“ und „Der Mensch, der dem Glück nachjagt, der verjagt es“. Das sind Einsichten, die überhaupt nicht in unser Konsumzeitalter passen wollen! Glück kann sich demnach nur als sekundäres Phänomen einstellen, wenn etwas Sinnvolles angestrebt oder verwirklicht wird; denn: „Was der Mensch wirklich will, ist nicht das Glücklichsein an sich, sondern ein Grund zum Glücklichsein“, wie Frankl sagt (vgl. Abb. 4).

Abb.4: Die Unmöglichkeit Glueck direkt anzustreben (Wolfgang Hoffmann)
Abb. 4: Die Unmöglichkeit, Glück direkt anzustreben.

Das Glück, von dem Frankl spricht, bezieht sich nicht auf ein flüchtiges körperlich-psychisches Glücksgefühl, das wir gewöhnlich mit Lust oder Wohlgefühl (Wellness) bezeichnen, sondern auf ein Glücksempfinden, an dem die geistige Dimension beteiligt ist, wie z. B. die „Freude“. Freude hat man über oder an etwas. Freude besitzt ihren spezifischen „Grund zur Freude“. Die Freude kommt nach Elisabeth Lukas ursprünglich aus dem Verzicht und aus der Entbehrung (z. B. der erste Schluck Wasser nach einem Wüstenmarsch). Freude hat etwas von Dankbarkeit in sich, z. B. für die unerwartete Erfüllung eines Wunsches. In der Freude sind wir so spontan und ehrlich wie selten. Der sich freuende Mensch befindet sich – selbst in der „Vorfreude“ oder „Nachfreude“ – „in einer basalen Übereinstimmung mit dem Sein der Welt“. „Freuden, die in der Erinnerung nicht Freuden bleiben, sind keine wahren Freuden!“ (Elisabeth Lukas). Bei der Freudlosigkeit kann nach Elisabeth Lukas die „Intensiviermacht des Geistes“ zum Zuge kommen – eine Haltung, aus der heraus man gezielt die vielen kleinen Anlässe, die das Leben zur Freude bietet, aufgreift und mit der Aura der Besonderheit umgibt. So kann man auch Freude haben an der Freude eines anderen. (Elisabeth Lukas). So können beim Glück im Sinne von Freude Erlebniswerte (rosa Pfeil in Abb. 8) zum Sinnereignis werden; man denke nur an die letzten Zeilen des Goethe-Gedichts „Willkommen und Abschied“:

„Und doch, welch Glück, geliebt zu werden
und lieben, Götter, welch ein Glück!“

Nicht nur das Liebesglück bewirkt einen Rückkopplungseffekt. Ganz allgemein kann das in der geistigen Dimension beheimatete Glück einen Recycling-Prozess auslösen – entsprechend dem Gedicht von Johann Ludwig Wilhelm Gleim:

„Wer glücklich ist, kann glücklich machen,
Wer´s tut, vermehrt sein eigenes Glück“.

In der geistigen Dimension erlebtes Glück kann lange andauern – ganz i. G. zu dem mit chemischen Mitteln wie Alkohol oder Drogen erreichbaren flüchtigen Glückszustand, der ausschließlich die körperliche Dimension betrifft. Auch Emotionen, die durch irgendwelche äußere Reize in der psychischen Dimension ausgelöst werden wie z. B. erotisch- sexuelle Gefühle pflegen nicht sehr lange anzuhalten, sofern nicht auch noch die geistige Dimension dabei beteiligt ist. Sehr provokant drückt dies ein bekanntes, von mir gern zitiertes chinesisches Sprichwort aus:

„Wenn du für eine Stunde glücklich sein willst, betrinke dich.
Willst du für drei Tage glücklich sein, dann heirate.
Wenn Du aber für immer glücklich sein willst, werde Gärtner“

Als „Gärtner“ kann man – natürlich im übertragenen Sinne gerade auch in der Ehe – schöpferische Werte (Pflanzen, Hegen und Pflegen), Erlebniswerte (Freude an dem Wachstum) und Einstellungswerte (z. B: Dankbarkeit für die Ernte) verwirklichen. Hier geht es um das anhaltende Glück, die andauernde (vielleicht stille) Freude, letztendlich um die Lebenszufriedenheit. Für diese Art von Glück braucht es dann eigentlich nicht mehr viel. Theodor Fontane drückt das in „Effi Briest“ so aus:

„Das Glück liegt in zweierlei: darin, dass man ganz da steht, wo man hingehört… und zum zweiten und besten in einem behaglichen Abwickeln des ganz alltäglichen, also darin, dass man ausgeschlafen hat und dass einen die neuen Stiefel nicht drücken.“

Glück ist zuallererst „Wissen, wo man zu Hause ist“, das bedeutet, vom Glauben an den Sinn seines Lebens getragen zu sein. Das Abwickeln des Alltäglichen entspricht der im Hier und Jetzt anstehenden Verwirklichung von schöpferischen Werten und Erlebniswerten.

Für das Erreichen von Lebenszufriedenheit setzt die moderne Glückspsychologie nach Günther Bien (1) Folgendes voraus:

  • Lebenssinnerfüllung
  • Lebenszufriedenheitskompetenz
  • Glückbegünstigende Situationsfaktoren.

Dass nur über Sinnerfüllung der Weg zum Glück im Sinne eines geglückten und erfüllten Lebens führen kann, betont Viktor Frankl immer wieder in seinen Werken, wie oben bereits erwähnt wurde, und auch andere schließen sich dieser Meinung an wie z. B. der populäre „freie“ Philosoph Wilhelm Schmid (2).

Abb.5: Lebenszufriedenheitskompetenz (Wolfgang Hoffmann)
Abb. 5: Lebenszufriedenheitskompetenz (vgl. Günther Bien (1))

Ohne eine gewisse Lebenszufriedenheitskompetenz wird man allerdings kaum glücklich werden können. Nach Günther Bien (1) hängt diese von der Glücksbereitschaft und von der Glücksfähigkeit ab (s. Abb.5). Glücksbereit ist jemand, der offen ist für das Positive, was ihm
wiederfährt und der auch das kleine Glück am Rande als solches wahrnimmt. Friedrich Nietzsche weist im „Zarathustra“ darauf hin:

„Das Wenigste gerade, das Leiseste, das Leichteste, einer Eidechse Rascheln, ein Hauch, ein Husch, ein Augenblick – wenig macht die Art des besten Glücks.“

Man muss es nur bemerken! Zum Glück fähig ist man dann, wenn man seine positiven Erfahrungen verarbeiten, maximieren und in sich aufnehmen kann. Hierbei erweist sich besonders das Danken-Können als wichtig! Zur Glücksfähigkeit gehört auch, nicht unglücklich zu werden, wenn Wünsche nicht in Erfüllung gehen. Dieter Birnbacher (4) bemerkt dazu: „Eine wesentliche Bedingung des Glücks scheint gerade darin zu bestehen, dass zumindest einige Wünsche unerfüllt sind – gewissermaßen als utopischer Horizont ’seliger Sehnsucht‘. Ein wortwörtliches ‚wunschloses Glück‘ ist möglicherweise eine contradictio in adjecto“. Das Glück sollte daher nicht ausschließlich von Glücksgütern und glücksbegünstigenden Faktoren abhängig gemacht werden.

Die glücksbegünstigenden Situationsfaktoren werden in 15 – 31 Arten von Bereichs-zufriedenheiten aufgeteilt; z. B. Einkommen, Wohnung, Bildung, Arbeit, Familien- und Ehesituation, politische Verhältnisse ….und nicht zuletzt auch Gesundheit. Schon Aristoteles führt bestimmte „Glücksgüter“ in seiner „Nikomachische Ethik“ auf. Bei ihm handelt es sich dabei vor allem um Tugend (= Fähigkeit, sein Leben gekonnt, erfolgreich und gut zu führen), praktische Intelligenz, Ehre, Reichtum, Gesundheit und tiefe Einsicht in die letzten Gründe. Die Glückseligkeit kann sich nach Aristoteles nur einstellen, wenn *Rechtschaffenheit (-> das Politische), *Vernunft (-> das Philosophische) und *Lust (-> das Genussleben) vorhanden sind. Hermann Lübbe schreibt in „Das neue Selbstverständnis der Menschen und ihre Erwartungen an die Gesellschaft“ (zitiert nach Günther Bien (1)): „Nach der antiken Theorie des Glücks erlangen wir das Glück nur, wenn wir das tun, was sich an Aufgaben von außen an uns heranbewegt, wenn wir Verantwortung erfüllen, die wir für Personen und Sachen übernommen haben, und wenn dieses Tun des evident Sinnvollen unsere Kräfte fordert, moralisch, psychisch, ohne uns durch Überforderung zu zerrütten“. So versteht Aristoteles in seiner „Nikomachischen Ethik“ unter Glückseligkeit (=Eudaimonia), auf deren Erlebnis nach seiner Meinung unser gesamtes Tun ausgerichtet ist, das Gelingen eines tugendhaften, moralischen Lebens bei gleichzeitigem Besitz aller äußeren und leiblichen Güter. Eine antike Inschrift aus Delos drückt das so aus: „Das Schönste ist Gerechtigkeit. Das Beste und Nützlichste ist das Gesundsein. Aber das Süßeste ist, wenn man erlangt, was man liebt“. Alle antiken griechischen Glückstheorien sehen es als die wichtigste Glücksvoraussetzung an, Verantwortung für die Polis, also für die Gemeinschaft, übernehmen zu können. Sklaven konnten also nach dieser Glückstheorie niemals glücklich werden.

Nach den Glücksgütertheorien ist ganz allgemein derjenige als glücklich anzusehen, der über bestimmte positiv bewertete Güter wie z. B. Erfolg, Anerkennung, Prestige, Reichtum, Macht, Sicherheit, Gesundheit, soziale Integration, Selbstachtung, freie Entfaltung u.s.w. verfügt. Das hat nach Dieter Birnbacher (3) zur Folge, dass Glück dann „keine Sache des Befindens oder der reflexiven Selbstbeurteilung“ mehr ist, „sondern eine Sache der bei einem Menschen objektiv realisierbaren Merkmale“. Auch Gesundheit ist demnach nur ein Glücksgut neben anderen Glücksgütern und lange ging man davon aus, dass man demgemäß die durch Gesundheit bedingte Lebensqualität objektiv erfassen kann, z. B. durch den Karnofsky- Index (Karnofsky performance status scale) oder die Rosser-Matrix. Aber nicht selten beobachtet man ein „Zufriedenheitsparadox“ oder ein „Unzufriedenheitsdilemma“, wenn sich die Patienten viel besser oder aber viel schlechter fühlen, als ihrem objektivem Zustand entspräche. „Wer gesünder, wohlhabender und geachteter ist, mag mehr Glück im Sinne von ‚luck‘ haben, er braucht aber keineswegs glücklicher im Sinne von ‚happiness‘ zu sein…., weil Glücksgüter nur dann und insoweit glücklich machen, als dem Individuum, an Ihnen gelegen ist“ merkt Birnbacher (3)) dazu an. Glück im Sinne von Lebenszufriedenheit ist offensichtlich wie die geistige Dimension, in der es erlebt wird, etwas ganz persönliches und individuelles. Wer heute Eudaimonia und Beatitudo meint, spricht deswegen häufig von geglücktem oder erfülltem Leben. Darin sind dann auch die dunklen und schmerzlichen Seiten des Lebens enthalten. Eine gelungene Integration dieser Aspekte ist eine beglückende Leistung, die Leistung einer ausgebildeten Lebenskompetenz, d. h. letztendlich eine Persönlichkeitsentwicklung zu größerer Reife. Nach J. W. v. Goethe („Buch Suleika“) ist das sogar

„das größte Glück der Menschenkinder“:
„Volk und Knecht und Überwinder,
sie gestehn zu jeder Zeit:
höchstes Glück der Erdenkinder
sei nur die Persönlichkeit.“

Eine starke Persönlichkeit verfügt über ein gutes Grundvertrauen und eine positive Grundeinstellung und damit auch über eine Lebenszufriedenheitskompetenz und so, wie im folgendem Abschnitt gezeigt werden wird, über gute Gesundheitsvoraussetzungen.

Sofort stellt sich dann die Frage:

(3) Was ist unter „Gesundheit“ zu verstehen?

Health is a state of complete physical, mental and social well-being and not merely the absence of disease or infirmity“, so definierte die WHO 1946 Gesundheit. Gesundheit soll also nicht nur eine Minusvariante von Krankheit sein, sondern ein umfassendes Wohlbefinden („well-being“). Ist „well-being“ so etwas wie Glück? Ist Wohlbefinden („well-being“) nicht genauso vieldeutig und von Mensch zu Mensch verschieden und von soziokulturellen Maßstäben abhängig wie das Glücksempfinden? Kann Gesundheit überhaupt als ein Zustand angesehen werden? Ist Gesundheit nicht vielmehr ein Prozess wie die Entwicklung von Persönlichkeit und Lebenszufriedenheit? Wurde oben nicht dargelegt, dass Gesundheit i. a. als ein Glücksgut bzw. als einen „glückbegünstigenden Situationsfaktor“ (s. o.) unter anderen Gütern bzw. Faktoren angesehen wird? So kann man dem ersten Teil des bekannten Schopenhauer-Zitats „Gesundheit ist nicht alles“ durchaus zustimmen, aber gilt auch der Rest des Zitats: „aber alles ist nichts ohne Gesundheit“? Es gibt ja genug Gegenbeispiele von nicht gesunden Menschen, die trotzdem glücklich sind. Gesundheit ist somit weder notwendig noch hinreichend für Glück und selbst nicht für „well-being“.

Abb.6: Statistische Verteilung von Normalwerten und pathologischen Werten (Wolfgang Hoffmann)
Abb. 6: Statistische Verteilung von Normalwerten und pathologischen Werten

Wie kann man dann „Gesundheit“ anders definieren? Warum fällt die Definition so schwer?

Selbst wenn man Gesundheit nur auf das Psychophysikum bezieht und sich auf messbare Parameter beschränkt, sind Überschneidungen der Parameter-Verteilungen, die sich auf Kranke und Gesunde beziehen, die Regel (s. horizontaler rosa Doppelpfeil in Abb. 6). Die Festlegung der Grenze zwischen „gesund“ und „krank“ ist daher immer auch in gewissem Umfange willkürlich.
Da die objektiv bestimmte Gesundheit bzw. Krankheit von einer Vielzahl derartiger Parameter abhängt, sind etwas zynische Aussagen wie „gesund ist einer, der noch nicht gründlich genug untersucht ist“ oder „gesund ist der, der noch nicht weiß, dass er krank ist“ in gewisser Weise nicht ganz unberechtigt. Gesundheit ist auch einem Entwicklungsprozess unterworfen, weil sich der Mensch als Ganzheit und nicht nur sein Immunsystem oder seine Muskulatur mit ständig neuen Herausforderungen auseinandersetzen muss, um gesund zu bleiben. Vor allem besteht solche Herausforderung darin, sich immer wieder neu an

veränderte Umweltverhältnisse anzupassen. So kann es gar nicht anders sein, dass allein durch die variierenden Umweltverhältnisse unterschiedliche soziokulturelle Bewertungen und unterschiedliche subjektive Wahrnehmungen und Bewertungen von Gesundheit bzw. Krankheit entstehen.

  • Gesundheit lässt sich also als Begriff nicht scharf definieren – ähnlich wie das Glück!
    Aber zu dem Problem, dass „Gesundheit“ sich nicht klar gegenüber Krankheit abgrenzen lässt, kommt noch hinzu:
  • Gesundheit ist „normal“ und fällt somit nicht auf.
    Es bedarf daher einer besonderen Schulung der Achtsamkeit und der Selbstwahrnehmung, um sich als gesund wahrzunehmen (z. B. Feldenkrais-Methode im psychophysischen und Danken im geistigen Bereich).
  • Es existiert zum Begriff „Gesundheit“ kein emotional besetztes Bild.
    Gesundheit lässt sich als solche nicht konkret vorstellen – i. G. zur Krankheit, wo sicher von Mensch zu Mensch differierende, aber stark emotional besetzte Bilder (z. B. im Bett liegend, schwitzend vor Fieberhitze, von Schmerzen geplagt etc.) sofort vor dem inneren Auge auftauchen.
  • Gesundheit wird oft nur als Mittel zum Zweck angesehen.
    Z. B. kann jemandem Gesundheit wichtig sein, weil er über „Fitness“ verfügen will, um leistungsfähig zu sein, um anerkannt und bewundert zu werden u. s. w. Dementsprechend wird die Vorstellung von Gesundheit variieren, je nachdem wofür sie gebraucht wird.
  • Gesundheit braucht einen Grund zum Gesundsein, d. h. „Gesundheit braucht Sinn“!
    Gesundheit ist (wie das Glück) als Zustand nicht direkt intendierbar, sondern man braucht einen Grund für die Gesundheit – einen Grund, warum man gesund sein will. Und da gibt es für die verschiedenen Menschen unterschiedliche Gründe, z. B. für einen Sportler andere als für einen Wissenschafter und wieder andere für einen Liebenden (der evtl. sogar seine körperliche Gesundheit ruiniert für seine/seinen Geliebten) u.s.w. – je nachdem, „wozu“ bzw. „wofür“ jemand seine Gesundheit braucht und welchen Sinn er verwirklichen will.

Der „Wille zur Gesundheit“ und damit alle Gesundheitsvorsorge tut sich offenbar wegen folgender vier Punkte so schwer:

1.) Das Ziel „Gesundheit“ ist schon rein begrifflich gesehen so uneindeutig, so abstrakt und so unauffällig „normal“ ist (s. o.)

2.) „Gesundheit“ ist nicht das eigentliche Ziel, jedenfalls kein Endziel, sondern sie kann nur ein Zwischenziel sein, dazu nicht einmal ein unbedingt notwendiges, um das eigentliche Ziel, die Realisation von SINN, zu erreichen (s. o).

3.) „Gesundheit“ lässt sich auch deswegen oftmals nicht erzwingen, weil Krankheit schon ein Selbstheilungsversuch sein kann. Dass Krankheiten sogar die Überlebensfähigkeit steigern können, zeigt die Stärkung des Immunsystems, die nur durch überstandene Infekte erfolgt. Krankheit hat in mancher Beziehung einen Sinn, wenn einem das auch selten bewusst ist. Gerhard Schwarz (6) hat in der Tabelle Abb. 7 zusammengestellt, welchen Sinn Krankheiten haben können, woraus sich dann auch ganz unterschiedliche Gesundheitsvorstellungen ergeben. Krankheitssymptome zeigen öfter die Notwendigkeit einer neuen Ordnung an! Goethe sagt einmal: „Ich habe durch nichts soviel gelernt, wie durch Krankheit“. Erst die Krankheit und das Leid lehren einen, welches wertvolle Gut Gesundheit darstellt, und so verblasst daneben vieles andere, was einem vorher so wichtig war – ganz im Sinne des Frankl-Zitats: „Oft sind es erst die Ruinen, die den Blick auf den Himmel freigeben!“.

Abb.7: Heilungsaequivalenztafel nach Gerhard Schwarz (Wolfgang Hoffmann)
Abb. 7: Heilungsäquivalenz-Tafel nach Gerhard Schwarz
(s. Gerhard Schwarz: Produkte – Ihre Seele und ihre Widesprüche, Managerie, 2. Jg. 1993)

4.) Sich zu viele Gedanken um seine Gesundheit zu machen, ist schädlich!
Habe ich nämlich nur meine Gesundheit um ihrer selbst willen im Visier und kreisen alle meine Gedanken nur um meine körperliche Gesundheit und mein psychisches Wohlbefinden, geht es mir vielleicht sogar so, wie es Rüdiger Safranski einmal ausgedrückt hat: „…tief in uns steckt der Verdacht: der Körper könnte dein Attentäter sein….“ Oder wie es Peter Sloterdijk ausmalt: „Wir haben nicht nur den Verdacht gegen unseren Körper, dass er Übles gegen uns im Schilde führt. Wir sind fest davon überzeugt, dass er unser Mörder ist, der ums Haus schleicht. Man weiß daher auch nicht, warum man diesem Kerl überhaupt so viel Zuwendung erweist. Es ist so eine Art Versuch von ´Sleeping with the enemy`“.

Im Extremfall kann dann der Körper sogar zum Feind werden! Wird die Gesundheit zum Fetisch, kann das neurotische Ausmaße annehmen. So beschrieb Dr. Steve Bratman 1997 das Krankheitsbild der „Orthorexia nervosa“. Beim Streben nach Gesundheit kommt es wie immer – auf das richtige Maß an. Nichts zu sehr! Sebastian Kneipp sagt dazu: „Im Maße liegt die Ordnung: jedes Zuviel und jedes Zuwenig setzt an Stelle von Gesundheit Krankheit. Untätigkeit schwächt, Übung stärkt, Überlastung schadet“. Wenn ich Gesundheit hyperreflektiere, geht es mir so, wie wenn ich mit Gewalt einschlafen will, beim Sex uneingeschränkt potent sein will oder unbedingt ein Kind kriegen will… „Mit der Brechstange“ geht es nicht! Mit Missachtung der Gesundheit, weil sie ja normal ist, geht es aber auch nicht.

Abb.8: Der Weg zur Gesundheit über Sinn-Orientierung (Wolfgang Hoffmann)
Abb. 8: Der Weg zur Gesundheit über Sinn-Orientierung

Besser ist es sicher, Gesundheit als ein kostbares Geschenk anzusehen, für das ich dankbar sein und das ich lieben kann und für das ich Verantwortung habe, weil ich mit Hilfe der Gesundheit leichter und besser Sinn verwirklichen kann (Verwirklichung schöpferischer Werte: s. nach rechts unten weisender türkisgrüner Pfeil in Abb. 8) und überhaupt mein geistiges Potential fördere im Sinne das Ausspruchs der Hl. Theresa von Avila: „Tu deinem Körper etwas Gutes, auf dass deine Seele Lust habe, in ihm zu wohnen“. Wenn ich durch den Sinn stimuliert nach Gesundheit strebe, so sollte ich mir vorher eine gewisse Gesundheitskompetenz aneignen und diese ständig weiterentwickeln (s. nach links weisende türkisfarbene Pfeile in Abb. 8). Um Gesundheitskompetenz zu erlangen, bedarf es besonders der Schulung der Achtsamkeit und der Selbstwahrnehmung. Die Motivation für das Bemühen um Gesundheitskompetenz wird primär durch den „Willen zum Sinn“ (Frankl) hervorgerufen und nicht durch einen isolierten „Willen zur Gesundheit“. Gesundheit braucht immer Sinn, aber Sinn braucht nicht unbedingt immer Gesundheit. Gesundheit kann allerdings zu einem Sinnerlebnis verhelfen, wenn man sich seiner Gesundheit dankbar bewusst ist und so z. B. „Einstellungswerte zu einem positiven Schicksal“ verwirklicht (s. hellblauer Pfeil in Abb. 8).

Frankl hat immer wieder darauf hingewiesen, dass Sinn-Orientierung auf der einen Seite und Gesundheit des Psychophysikums auf der anderen Seite in zwei verschieden Dimensionen stattfinden (s. Abb. 9). So kann psychophysische „Krankheit“ durch Sinnfindung und Sinnverwirklichung in den gesunden Bereich verschoben werden – bis hin zur Lebensverlängerung (grüne Pfeile in Abb. 9). Umgekehrt kann ein Gesunder zum Kranken werden, wenn er nicht in der Lage ist, Sinn zu finden (rote Pfeile in Abb. 9). So gesehen könnte man definieren:
Gesundheit ist das Maß an Leiden, das mich imstande sein lässt, meinen Sinnerfahrungen gemäß zu leben (s. a. W. Hoffmann (7)).

Abb.9: Gesundheit und Sinnreichtum (Wolfgang Hoffmann)
Abb. 9: Gesundheit und Sinnreichtum

Die Form bzw. die Ausbildung von Gesundheit, die sog. Salutoplastik (i. G. zur Pathoplastik, der Ausbildung von Krankheit) hängt somit sehr stark ab von den jeweiligen Sinninhalten und den durch diese mitbestimmten Fähigkeiten und Fertigkeiten zur Gesunderhaltung. Die Salutoplastik wird somit von Mensch zu Mensch sehr verschieden sein, so dass es eigentlich keine „Gesundheit“, sondern nur „Gesundheiten“ im Plural gibt, von denen wir obendrein keine Vorstellung, jedenfalls keine emotional angereicherte bildhafte Vorstellung haben (s. o.). Die Entwicklung von Gesundheit, die Salutogenese, ist dann auch ein individueller Entwicklungsprozess entsprechend der Persönlichkeitsentwicklung. Dem entsprechend müsste auch die Gesundheitsförderung und Gesundheitserziehung ganz individuell auf die jeweilige Person abgestimmt sein. Allgemein geschult und gefördert werden kann dagegen die Gesundheitskompetenz und gesundheitsfördernde Faktoren und da als erstes die Selbstwahrnehmung und die Achtsamkeit auf Körper, Seele und Geist, das Hören auf die „innere Stimme“, das Sinn-Organ „Gewissen“ nach Frankl.

Der Begriff der Salutogenese ist populär geworden durch die Untersuchungen des amerikanisch-israelischen Soziologen Aaron Antonowsky. Er fand heraus, dass Menschen dann über eine stabilere Gesundheit verfügen, wenn sie über einen ausgeprägten „Kohärenzsinn“ verfügten, der wiederum durch „Widerstandsressourcen“ gestärkt wurde. Unter Kohärenzsinn (sence of coherence) versteht Antonowsky:

  1. Die Fähigkeit, dass man die Zusammenhänge des Lebens versteht (comprehensibility),
  2. Die Überzeugung, dass man das eigene Leben gestalten kann (manageability),
  3. Der Glaube, dass das Leben einen Sinn hat (meaningfulness).

Alle drei Faktoren korrelieren mit Urvertrauen und Glauben an den Sinn, insbesondere auch an den Sinn des Lebens. Bei ausgeprägtem Kohärenzsinn werden laut Antonowsky die folgenden „Widerstandsressourcen“ besonders effektiv:

  1. Orientierungssystem für sinnhaftes Handeln
  2. Intelligenz und Anpassungsfähigkeit
  3. physische und materielle Sicherheit
  4. Unterstützung durch soziale Netzwerke
  5. Immunstärke gegen Krankheiterreger und Stressoren.

Diese „Widerstandfaktoren“ stehen erneut in Beziehung zur Sinnorientierung, aber auch zur Gesundheitskompetenz und zu den glücksbegünstigenden Faktoren. Das Immunsystem erstarkt beispielsweise durch Sinnfindung, durch Trainingsmaßnahmen im Rahmen der Gesundheitskompetenz und durch vitaminreiche, ausgewogene Ernährung, die einen gewissen Wohlstand und eine gewisse Bildung, somit glückbegünstigende Faktoren, voraussetzen.

Welche Zusammenhänge gibt es nun zwischen Gesundheit und Glück?

(4) Was verbindet und was unterscheidet Gesundheit und Glück?

Der Philosoph Wladyslaw Tatarkiewicz (5) weist darauf hin, dass der alte Glücksbegriff seit dem 2. Weltkrieg von den USA ausgehend durch den Begriff der „psychischen Gesundheit“ abgelöst wurde. Die psychische Gesundheit wird dabei als „happiness and contentment“, „satisfaction“, „presence of physical and emotional well-being“ oder schlicht nur als “happiness” bezeichnet. Tatarkiewicz findet viele weitere Parallelen zwischen dem (alten) Glücksbegriff und der (psychischen) Gesundheit:

  1. Gesundheit und Glück sind relative Begriffe und vom jeweiligen Blickwinkel abhängig. Sie lassen sich daher nicht eindeutig definieren.
  2. Gesundheit und Glück können auf einen momentanen, situativen Zustand oder aber auch auf ein relativ beständiges Empfinden bezogen werden. Besonders erstrebenswert erscheint die letztere Variante.
  3. Gesundheit und Glück können sich auf einen subjektiven, positiv erlebten Bewusstseinszustand oder auf das Vorhandensein objektiv erhobener und positiv bewerteter Fakten beziehen. In der Medizin und der psychologischen Verhaltensforschung sucht man mit diversen Testverfahren, einen objektiven Maßstab für beides zufinden, aber in der Logotherapie wie auch in einigen anderen Psychologien und Philosophien geht man eher davon aus, dass Gesundheit und Glück nur auf die individuelle Persönlichkeit bezogen werden können.
  4. Über Gesundheit und Glück macht man sich normaler Weise keine Gedanken. Dagegen wird man sich oft erst bei Krankheit oder im Unglück bewusst, was Gesundheit und Glück für einen bedeutet hat (vgl. den schon zitierten Satz von Frankl: „Oft sind es erst die Ruinen, die den Blick auf den Himmel freigeben!“).
  5. Gesundheit und Glück sind auch davon abhängig, in welcher soziokulturellen Umgebung man lebt und in welcher Beziehung zu ihr man steht, d. h. inwieweit man sich an seine Umgebung in einem aktiven Prozess auf eine befriedigende Weise assimiliert hat bzw. ob man an seine Umgebung auf passive Art akkommodiert ist, so dass man sich in ihr wohl fühlt. Für den Weg zum Glück heißt das, „nicht anzustreben, was man nicht haben kann“ bzw. „sich damit zufrieden zu geben, was dem Menschen durch die Natur gegeben ist“, wie schon die Stoiker und die Epikuräer herausgefunden hatten.
  6. Gesundheit und Glück sind Idealzustände. Im Alltag sind beide ständigen Schwankungen unterworfen.
    Zu ergänzen ist:
  7. Gesundheit und Glück lassen sich nicht um ihrer selbst willen anstreben. Der Mensch braucht einen Grund für das Gesund- und Glücklich-Sein!
  8. Um kompetent und fähig zu sein, seine Gesundheit zu pflegen, den Sinnaufruf wahrzunehmen und sein Glück zu entwickeln, bedarf es insbesondere des Achtens auf die Signale, die einem Körper und Seele senden, wenn etwas stimmig oder nicht stimmig ist – sei es für seine Gesundheit oder seine Sinn-Möglichkeiten oder seine Glückschancen.
  9. Gesundheit und Glück sind beide einerseits ein Geschenk des Schicksals, eine Gnade Gottes, aber andererseits auch eine Aufforderung zu eigenen Anstrengungen. Beides spielt eine Rolle: gesunde Konstitution und Zufallsglück einerseits und Gesundheitspflege und „machbares“ Glück andererseits. Der Mensch sollte das, was er geschenkt bekommen hat, wahrnehmen, es hegen und pflegen und es weiter entwickeln.
  10. Es gibt sowohl ohne Gesundheit als auch ohne Glück die Möglichkeit, Sinn zu verwirklichen und damit Krankheit und Unglück, also das Fehlen von Gesundheit und Glück, zu bewältigen.

Damit enden aber auch die Übereinstimmungen von Glück und Gesundheit, denn es sei daran erinnert, dass Gesundheit nur eines von zahlreichen Glücksgütern ist. In gewissem Umfange ist eine Basis-Gesundheit nötig, um glücksbereit und glücksfähig sein zu können; denn bei bestimmten Krankheiten wie z. B. einer Demenz kann man weder Sinn intendieren noch Glücksbereitschaft entwickeln. Gesundheit erweitert das Spektrum der Sinn-Wahrnehmung und Sinn-Verwirklichung (vgl. Anmerkungen zu Abb. 8). Über diesen Weg, nämlich über die Sinnerfahrung, ist dann auch ein Glückserleben möglich (s. türkisgrüne Pfeile in Abb. 10). Die Sinnfindung und die Glückserfahrung können dann wiederum die Gesundheit in einem Rückkopplungsprozess verstärken, z. B. über eine messbare Stärkung des Immunsystems bis hin zur Lebensverlängerung (s. gelbe Pfeile in Abb. 10).

Abb.10: Zusammenhänge von Sinn-Orientierung, Gesundheit und Glück (Wolfgang Hoffmann)
Abb. 10: Zusammenhänge von Sinn-Orientierung, Gesundheit und Glück

Mehrmals wurde bereits darauf hingewiesen, dass der Sinn-Orientierung eine zentrale Bedeutung zukommt. Das setzt die Bereitschaft und Fähigkeit voraus, auf die „leise Stimme des Seins im Lärm des Seienden“ (Heidegger), auf die „raison du cœur“ (Pascal), auf sein Sinn-Organ „Gewissen“ (Frankl) hören zu können. Hierfür ist es wichtig, Achtsamkeit und Selbstwahrnehmung gelernt und weiterentwickelt zu haben. Beides ist aber auch eine Grundvoraussetzung für die Gesundheitskompetenz und für die Glückskompetenz. In Abb. 10 sind die auf die Achtsamkeit bezogenen Kompetenzen hellgrün markiert. Die Bereitschaft zur Achtsamkeit einschließlich der Intention von Sinn und die Entwicklung von Gesundheits- und Glücks-Kompetenz sind eine aktive Leistung des Menschen (türkisgrüne Pfeile in Abb. 10), während Glück (luck) und Gesundheit (Konstitution, äußere Einflüsse) nur in eingeschränktem Maße machbar sind, denn zu einem nicht unerheblichen Teil sind sie auch

ein Geschenk eines gütigen Geschicks. Gesundheit kann, wie bereits erwähnt, meist durch die Verwirklichung von schöpferischen Werten die Sinnfindung erleichtern (nach rechts unten weisender türkisgrüner Pfeil in Abb. 10), während ja beim Glück – wie oben im Kommentar zu Abb. 8 bereits gesagt wurde – eher Erlebniswerte (rosa Pfeile in Abb. 10) zu einer Sinnerfahrung führen können.
Eine Sinnverwirklichung über „Einstellungswerte zu einem positiven Schicksal“, d. h. in erster Linie über Dankbarkeit, ist sowohl bei Gesundheit als auch beim Glück möglich bzw. sogar angezeigt (hellblaue Pfeile in Abb. 10).

(5) Was kann ich zu meiner Gesundheit und zu meinem Glück beitragen?

Offensichtlich wirkt sich Sinnsuche und Sinnverwirklichung sehr positiv auf die Lebenszufriedenheit und die Gesundheit aus, wie auch Viktor Frankl und Elisabeth Lukas in ihren Büchern immer wieder hervorheben. Menschen, die sich nach ihren Sinnerfahrungen ausrichten, können offenbar sogar den Tod zuweilen etwas hinausschieben, wie z. B. die geringere Todesrate vor Feiertagen beweist oder die längere Lebenserwartung von solchen Lagerinsassen zeigt, die glaubten, dass noch eine Sinnverwirklichung auf sie warte. In die gleiche Richtung weisen auch die von E. Lukas zitierten Untersuchungsergebnisse von Stephen R. Covey („The 7 Habits of Highly Effective People“, 1992) über Erfolgreiche (= „Glückliche“) und von Leonard A. Sagan („Die Gesundheit der Nationen“, 1992) über Langlebige. Nach E. Lukas („Urvertrauen gewinnen“, 1993) waren beide Gruppen bestrebt:

  1. Selbstverantwortlich zu leben (im Blick: das Eigene),
  2. Selbsttranszendent zu denken (im Blick: den / das andere(n)),
  3. Proaktiv und zukunftsorientiert zu handeln (im Blick: das Kommende),
  4. Grundvertrauen zu pflegen und feste Beziehungen zu haben (im Blick: das Übergeordnete),
  5. Sinn zu suchen und Horizonterweiterung anzustreben (im Blick: der große Zusammenhang).

Auf das Immunsystem gibt es nach mehreren Untersuchungen positive Einflüsse durch Sinnfindung (Aufzählung nach Boglarka Hadinger):

  • Positive geistig-seelische Einstellung mit Sinn-Realisation,
  • Authentisches, sinnerfülltes, sozial bedeutsames Leben,
  • Kurzfristige, aber nicht andauernde Stress-Situationen,
  • Fähigkeit zur Entspannung und zu Stress-Abbau,
  • Humor / herzhaftes Lachen / Selbstdistanzierung,
  • Aktives Coping mit Erkennen des verbliebenen Freiraums,
  • Fähigkeit zu akzeptierender Versöhnung und Dankbarkeit.

Elisabeth Lukas berichtet, dass AIDS-Kranke in Sizilien erst starben, nachdem sie den für sich gefundenen Sinn, das Malen einer ihren Angehörigen gewidmeten Ikone, erfüllt hatten.
Nonnen schneiden gesundheitlich nach einer italienischen Studie von 2005 besser ab als die Allgemeinbevölkerung. So bleibt der Blutdruck bei Nonnen bis ins hohe Alter stabil, während er bei der Allgemeinbevölkerung mit dem Alter stetig ansteigt. Selbst die Alzheimer-Demenz scheint bei Nonnen mit gesunder Lebensführung und innerer Zufriedenheit nach den Untersuchungen von David Snowdon (University of Kentucky, Lexington, 2003) möglicher Weise milder zu verlaufen. Auch bei den sehr seltenen Spontanheilungen von Krebserkrankungen wird nach Hiroshi Oda deutlich, wie günstig sich eine positive Grundeinstellung und eine Ausrichtung nach Sinn und geistigen Werten auswirken. Die spontan geheilten Patienten ließen sich drei Gruppen zuordnen: entweder waren sie „Fromme Gläubige“, die die Krankheit in frommer Ergebenheit als göttliche Prüfung ansahen, oder auf spirituelle Weise „Suchende“, die die Krankheit in erster Linie als Aufforderung ansahen, sich im spirituellen Einklang mit sich und dem Kosmos neu zu entfalten und zu transformieren, oder „Tapferer Kämpfer“, die mit positivem Grundvertrauen aktiv gegen die Krankheit vorgingen und so „schöpferische Werte“ verwirklichten.

Mihaly Csikszentmihalyi (3) demonstriert an einem anderen, recht extremen Fall einer seit über 10 Jahre hospitalisierten, chronisch-schizophrenen Patientin mit den „üblichen Mustern gedanklicher Verwirrung“ und dem „bei schweren psychischen Krankheiten übliche schwache Affekt“, wie über Sinnfindung sowohl Glück als auch Gesundheit gefördert werden konnten. Bei Flow-Messungen viel auf, dass eine „einigermaßen positive“ Stimmungslage bei der Patientin beobachtet werden konnte, wenn sie sich die Fingernägel schnitt. Daraufhin wurde sie in der Maniküre geschult und sie durfte dann auch anderen Patienten die Nägel schneiden. Ihr Befinden verbesserte sich daraufhin so sehr, dass sie entlassen werden konnte und sich sogar durch ihre Maniküre-Tätigkeit selbst versorgen konnte.

Als weiteres Beispiel dafür, welche gering erscheinenden Sinnverwirklichungen oft ausreichen, um zu Gesundheit und Glück zu verhelfen, sei die Untersuchung von Langer und Rodin (1976) zitiert (gefunden in Matthias Burisch: Das Burnout-Syndrom, 1994). Bei dieser Studie wurde in einem Altenpflegeheim bei den Bewohnern die Eigeninitiative zu einer Sinnverwirklichung mit einfachsten Mitteln in einer Gruppe gestärkt und in einer anderen
Gruppe geschwächt.

Abb.11: Beispiel für die Entwicklung von Gesundheit und Zufriedenheit durch Möglichkeit zu freien Sinn-Entscheidungen (Wolfgang Hoffmann)
Abb. 11: Beispiel für die Entwicklung von Gesundheit und Zufriedenheit durch Möglichkeit zu freien Sinn-Entscheidungen.

Wie in Abb. 11 aufgeführt wird, gab es im Wesentlichen nur drei Möglichkeiten, Eigeninitiative zu entwickeln. Diese drei Varianten erscheinen von außen betrachtet fast bedeutungslos, sie zeigten aber eine große Wirkung: schon nach drei Wochen erwies sich die Gruppe mit mehr Eigeninitiative zufriedener, also in gewisser Weise glücklicher, als die Vergleichsgruppe und die Sterblichkeitsrate hatte sich bei dieser Gruppe der glücklicheren Heimbewohner nach 1½ Jahren halbiert! Diese Untersuchungsergebnisse belegen, dass Sinnfindung und Sinnverwirklichung mit der damit verbundenen Übernahme von Verantwortung und Selbstbestimmtheit und dem dadurch gesteigerten Selbstwertgefühl zur Gesundheit beitragen, aber auch der Schlüssel zu Zufriedenheit und Glück sind!

Wie oben schon betont wurde, fördert die Ausrichtung nach Sinnerfahrungen aber nur dann Gesundheit und Glück, wenn es einem wirklich nur um den Sinn geht und man nicht Sinn intendiert, weil man bloß gesund oder glücklich werden will. Im Bewusstsein, dass Gesundheit und Glück nicht das allerwichtigste sind, darf ich mich nur „reinen Herzens“ auf die Sinnsuche begeben und mich ganz dem sinnvollem Ziel hingeben ohne Nebengedanken an Gesundheit und Glück! Ich sollte mich allerdings für Gesundheit und Glück bereithalten und auf beides achten. Man kann es gar nicht oft genug wiederholen, dass sich hierbei das Danken als so hilfreich erweist!

Dieses „Bereithalten“ für die Gesundheit wird durch einen entsprechenden gesunden Lebensstil eingeübt und gefördert. Die alten Griechen wie Hippokrates nannten das die Diaitia. Ende des 19. Jahrhunderts entwarf der Schweizer Arzt Maximilian Bircher-Benner die von ihm sogenannte „Ordnungstherapie“. Sebastian Kneipp machte die Ordnungstherapie später zu einer der fünf Säulen der Naturheilkunde. Ziel der Ordnungstherapie ist es, Gesundheit zu fördern und zu erhalten bzw. wiederherzustellen durch sinnreiche Lebenskultur, d. h.:

  • im körperlichem Bereich:
    • gesunde Ernährung
    • Vermeidung von Risikofaktoren
    • Körpertraining, richtiges Atmen in frischer Luft
    • Körpersensibilität
    • Ausgewogenheit zwischen Stress und Erholungsphasen
    • Leben im Biorhythmus (=Chronohygiene)
  • im seelisch-geistigem Bereich:
    • allgemeines subjektives Wohlbefinden und gutes Selbstwertgefühl
    • Einbettung in ein stabiles Beziehungsnetz
    • Liebes- und Arbeitsfähigkeit
    • Leidensfähigkeit
    • Entfaltung geistiger Möglichkeiten / Spiritualität

Die Ordnungstherapie sieht auch gerade heutzutage die „Entfaltung geistiger Möglichkeiten“ und damit auch die Sinnfrage als zentralen Punkt an. Die Sinn- und Werteverwirklichung und die Selbstwahrnehmung und Achtsamkeit, die Chronohygiene und Entspannung, die Bewegung und die Ernährung sind eng miteinander verzahnt. Dabei ist es wichtig, das richtige Maß zu finden! Die Achtsamkeit sollte z. B. nicht in eine krankhafte Selbstbeobachtung ausarten (s. o.)! Für die Achtsamkeit gibt es unterschiedliche Begabungen: Frauen beobachten sich selbst sensibler, feinfühliger und kritischer. Sie haben eine bessere Beziehung zu ihrem Körper als Männer. Das mag daran liegen, dass sie durch die Regelblutung von früh an gewohnt sind, auf ihren Körper zu achten. Frauen wollen „schön“ sein – auch das fördert das Körpergefühl. Männer ignorieren eher die Signale des Körpers und der Seele. 36% der Frauen, aber nur 13% der Männer gehen zur Krebsvorsorge. Auch bei der Bewegung sollten Extreme vermieden werden. So erkranken Spitzensportler besonders häufig an Grippe und Bronchitis. Das liegt an einer Dauerbelastung mit zu wenigen Erholungs-phasen, so dass Stresshormone gebildet werden (Adrenalin, Noradrenalin, STH und Cortisol). Cortisol unterdrückt die Aktivität des Immunsystems; d. h. die Produktion von Zytokininen wird reduziert und Makrophagen, Killerzellen, bestimmte Populationen von Lymphozyten werden zu „Wächtern im Schlafrock“. Dauer-Stress z. B. bei Marathonläufern vermindert auch das Gedächtnis (kognitive Leistungsschwäche). Das Risiko für Depressionen steigt, da Cortisol die Wirkung des Neurotransmitters Serotonin unterdrückt! (J. Herbert, Cambridge, 1997).

Die Ordnungstherapie will nicht so sehr die spezifischen Krankheitsursachen beheben,
sondern sie will den „Willen zur Gesundheit“ stärken durch eine an der individuellen Sinn- und Werterfahrung orientierte Beratung und Unterstützung bei der Entwicklung des Lebensstils und der Reifung der Persönlichkeit, um den Menschen ganzheitlich zu stabilisieren und reaktionsfähiger zu machen – d. h. also gerade – auch in der psychischen und geistigen Dimension! Dass dadurch nebenbei dem Menschen auch zu mehr Glück und Zufriedenheit verholfen werden kann, wurde oben bereits mehrmals dargelegt. Diese zentrale Bedeutung der Sinn-Intention für Glück und Gesundheit macht die Logotherapie nicht nur zu einer idealen Ergänzung der Ordnungstherapie, worauf mich Karl Huth, Frankfurt am Main, aufmerksam machte, sondern auch zu einem zentralen Ansatz, um Gesundheit und Glück zu fördern (s. Abb. 12).

Abb.12: Die zentrale Bedeutung der Sinnorientierung (Wolfgang Hoffmann)
Abb. 12: Die zentrale Bedeutung der Sinnorientierung

Zu bedenken ist dabei, dass durch Sinnverwirklichung nicht nur Gesundheit und Glück, sondern auch die Selbstverwirklichung (nach dem Selbstverwirklichungsverständnis von Frankl: vgl. Artikel „Reifung durch Toleranz und Akzeptanz“ (4. Kapitel) auf dieser Web-page) und damit die Persönlichkeitsentwicklung gefördert wird, was dem „élan vital“ zugute kommt, der wiederum so wichtig ist für die Gesundheitsbereitschaft und die Glücksbereitschaft. Die Möglichkeit zur Sinnerfüllung wird so zum Quell von Gesundheit und Glück:

Gesund ist derjenige, der seinen persönlichen Sinn wahrnehmen kann, wodurch er auch die Chance hat, glücklich zu sein, was ihm wiederum helfen kann, seine Gesundheit zu fördern und zu stabilisieren.

(6) Literatur:

(1) Günther Bien: Glück – was ist das?, Verlag Josef Knecht, Frankfurt am Main, 1999
(2) Wilhelm Schmid: Glück, Insel-Verlag, Frankfurt am Main und Leipzig, 2007
(3) Mihaly Csikszentmihalyi: Lebe gut!, Verlag Klett-Cotta, Stuttgart, 2. Aufl., 1999
(4) Dieter Birnbacher: Philosophie des Glücks, e-Journal Philosophie der Psychologie, Düsseldorf, 2005
(5) Wladyslaw Tatarkiewicz: Über das Glück, Verlag Klett-Cotta, Stuttgart, 1984
(6) Gerhard Schwarz: Produkte – Ihre Seele und ihre Widersprüche, Menagerie, 2. Jg., Carl-Auer-Verlag, Heidelberg, 1993
(7) Wolfgang Hoffmann, Macht Gesundheit Sinn?, Die Medizinische Welt, Schattauer Verlag, Stuttgart, 6/2005, S.256ff)

Ferner sei auf die Logotherapeutische Fachliteratur, insbesondere die Bücher von Viktor Frankl und Elisabeth Lukas und z. B. auch auf meinen Artikel „Einführung in die Supportive Psychotherapie und Logotherapie“ in dieser Webpage hingewiesen.