Vortrag von Wolfgang Hoffmann, gehalten auf dem AOK-Gesundheitsforum der AOK Hohenlohe in Öhringen und Künzelsau am 1. und 15.07.2009

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1) Burnout-Syndrom – Definition

Der amerikanische Psychoanalytiker Herbert Freudenberger (1) benutzte erstmals den Begriff Burnout-Syndrom, als er  1974 einen schwerwiegenden Zustand körperlicher, emotionaler und geistiger Erschöpfung bei Ärzten beschrieb, der in einem schleichenden, sich manchmal über Jahre und sogar Jahrzehnte erstreckenden Prozess durch andauernde und wiederholte Belastungen entstanden war. „Burn-out“ beschreibt also einen Erschöpfungszustand durch das Bild des „Ausgebranntseins“. Ebenso konnte man das Bild eines entladenen, d. h. nicht mehr nachgeladenen Akkus oder eines anderen entleerten Energiespeichers, z. B. Tanks, gebrauchen, der dennoch Höchstleistung abgeben soll. Burisch (3) spricht von lang dauernder zu hoher Energieabgabe für zu geringe Wirkung bei ungenügendem Energienachschub; d. h. „Geben-müssen-und-nicht nehmen-können“.
Eine einheitliche Definition des Burnout-Syndroms gibt es nicht! Das Burnout-Syndrom ist auch keine anerkannte psychiatrische Erkrankung. In Deutschland versteht man i. a. unter einem Burnout-Syndrom einen arbeitsbedingten anhaltenden Erschöpfungszustand, der sich als das „Ergebnis eines Prozesses der insuffizienten Bewältigung stressreicher Arbeitssituationen und innerlich nicht akzeptierter Diskrepanzen“ (T. Bergner (2)) einstellt. Ein englisches Zitat fasst den Burnout-Prozess in einem Satz zusammen: „I`ve done too much for too many for too long with too little regard for myself“. Entscheidend dafür, ob eine Burnout-Prozess in Gang kommt, ist, mit welchen individuellen Charaktereigenschaften eine Person den Bedingtheiten seiner Umwelt gegenüber tritt, wie er sie emotional erlebt und bewältigt. Für die Gesundheit der Person ist wichtig, dass ihr emotionales Erleben und ihr Bewältigungsverhalten angemessen aufeinander abgestimmt sind und dass sich die externen und internen Anforderungen mit den externen und internen Ressourcen im Gleichgewicht befinden – entsprechend den körperlichen, psychischen und geistigen Charakteristika (Gegebenheiten) der betroffenen Person (Abb. 1).

Erleben und Verhalten des Individuums (Wolfgang Hoffmann)

Abb. 1: Erleben und Verhalten des Individuums zwischen Umwelt und persönlichen psycho-physischen Merkmalen (Charakteristika).

Die externen Ressourcen können sich z. B. auf Werkzeuge, Räumlichkeiten, Mitarbeiterstrukturen, zwischenmenschliche Kontakte, Arbeitsgestaltungsmöglichkeiten, Delegationsmöglichkeiten, Machtverhältnisse, soziokulturelle Werte, positives Feedback (Anerkennung, Prestige) etc. beziehen. Interne Ressourcen stellen z. B. Bereichswissen, fachliche und soziale Kompetenz, Autonomie, Vertrauen zu sich und anderen Konzentrationsfähigkeit, Ausdauer, Schnelligkeit, Koordinationsvermögen, psycho-physische Kraft, physische Gestalt, Stimme etc. dar. Externe Anforderungen sind z. B. Arbeitsaufgaben, Arbeitsanfall, Zeitvorgaben, Normen, Regeln etc. Interne Anforderungen sind intrinsische Motivation, Ideale, Verantwortungsübernahme, Selbstbild etc.

Wenn die internen und externen Ressourcen den internen und externen Anforderungen nicht mehr gewachsen zu sein scheinen, kommt es irgendwann zu dem emotionalen Erleben von Erschöpfung und einem mangelhaftem Bewältigungsverhalten. Letztendlich führt das zu einer Beeinträchtigung der psycho-physischen Gesundheit.  Burnout ist daher gekennzeichnet durch: subjektiv erlebte Hilflosigkeit und Ohnmacht in einer Arbeitssituation (Kontroll- und Autoritätsverlust) infolge rigider, hochgesteckter Werte und Ziele einerseits (Fixierung auf Wunschvorstellungen, Realitätsverlust) und der Unmöglichkeit ihrer Realisierung andererseits (Gestaltungsverlust). Allgemein könnte man sagen, Burnout entsteht durch mangelnde Passung zwischen Situation und Individuum.

2) Typische Symptome im Verlauf des Burnout-Prozesses

Burnout ist ein langsam voranschreitender Erschöpfungsprozess aufgrund innerer oder äußerer Überforderungen. Wann und wodurch sich jemand überfordert fühlt, ist höchst individuell unterschiedlich. Dem entsprechend unterscheidet sich das Burnout-Geschehen von Mensch zu Mensch. Trotzdem gibt es typische Leitsymptome, insbesondere Müdigkeit und Rückzug aus sozialen Beziehungen. Oft lässt sich der Verlauf des Burnout-Prozesses in Phasen beschreiben (z. B. 5 Phasen bei Eckhart H. Müller (4) oder 12 Phasen der Arbeitsgemeinschaft für Präventivmedizin Österreich (zitiert nach Paul Ostberg (6)). Ich möchte den Vorgang in 8 Abstufungen beschreiben, wobei ich wie Eckhart Müller das Bild des erlöschenden Feuers gebrauche (Abb. 2):

Verlauf des Burnout Geschehens (Wolfgang Hoffmann)
Abb. 2: Verlauf des Burnout-Geschehens

Zu diesen 8 Phasen ist folgendes anzumerken:

(1) „Lodernde Flamme“

Um auszubrennen, muss man erst mal „Feuer und Flamme“ gewesen sein, d. h. anfangs herrschen oft vor:

  • große Begeisterung, ungebremster Idealismus,
  • verstärkter Arbeitseinsatz bis zur überschäumenden Arbeitswut,
  • der Wille bzw. der Zwang sich zu beweisen,
  • erhöhte Erwartungen an sich selbst
  • Übersehen eigener Grenzen und Zurückstellung eigener Bedürfnisse,
  • freiwillige Übernahme neuer Aufgaben verbunden mit Mehrarbeit und (unbezahlten Überstunden auch an freien Tagen & Wochenenden und im Urlaub) und
  • Gefühl der Unentbehrlichkeit, Unfähigkeit zu delegieren

Die eigene Selbstüberschätzung, „die überhöhten Zukunftshoffnungen und die unrealistischen Erwartungen erschweren die Wahrnehmung der tatsächlichen äußeren Situation und verhindern das Ausrichten einer sensiblen Antenne nach innen“ (s. Müller (4)).


(2) „Brennende Flamme“

Irgendwann kehrt man auf den „Boden der Tatsachen“ zurück. Die Flamme brennt, aber sie lodert nicht; d. h. es herrschen vor:

  • ökonomische, zielstrebige, kraftvolle und sinnvolle Nutzung seiner Ressourcen,
  • Sicherheit und Vertrautheit mit den Anforderungen und Möglichkeiten,
  • realistische Einschätzung der vorhandenen Fähigkeiten und des Machbaren,
  • ausgeglichene Balance zwischen Enthusiasmus und Pragmatismus und
  • ausgewogenes Verhältnis zwischen Beruf und Privatleben, Anspannung und Erholung.

Die benediktinisch geprägten Nonnen und Mönche werden durch das „ora et labora“ offenbar weitgehend vor einem Burnout geschützt – mir ist jedenfalls kein Burnout-Fall im Ordensbereich begegnet, obwohl viele Ordensleute permanent „im Dienst“ stehen.


(3) „Vermehrtes Verheizen von Brennmaterial“

Geht man jedoch nicht ökonomisch mit seinen Reserven um, löst man nicht realistisch und pragmatisch seine Aufgaben und sorgt man nicht für einen Wechsel von Anspannung und Entspannung, weil man ständig den Ruf der Pflicht vernimmt, so gehen die Energie- und Kraftreserven schnell zur Neige. So kann der erste Schritt in das Burnout-Syndrom getan sein.
Das Warnlämpchen sollte aufleuchten, wenn Folgendes passiert:

  • dauernde Vernachlässigung eigener Bedürfnisse und sozialer Bindungen,
  • Aufgeben von Hobbys,
  • gesteigerter Bedarf von Kaffee, Aufputschmitteln, Zigaretten,
  • vegetative Begleiterscheinungen wie Schlafstörungen und
  • Muskelverspannungen und Kopfschmerzen.

Der Übergang in die nächste Stufe ist vorprogrammiert:


(4) „Ermattender Funkenflug“

Die inneren Kraftreserven sind verbraucht. Man sieht sich auf verlorenem Posten kämpfen. Das Engagement lässt nach und man hat das Gefühl, nichts mehr auf die Reihe zu bekommen.
Es treten auf:

  • Energiemangel, Schwächegefühle,
  • Lustlosigkeit, stagnierende Leistungen,
  • Abnahme des Gefühls von Kompetenz und erfolgreicher Arbeitsausführung
  • Fehlleistungen (Vergessen von Terminen und versprochener Aufgaben-Erledigung),
  • Stimmungsschwankungen und Launenhaftigkeit,
  • Angst, den Anforderungen nicht mehr gewachsen zu sein,
  • Gefühle des Versagens,
  • abnehmendes Interesse am Beruf und
  • Motivationsverlust bis zum Arbeitsüberdruss.

(5) „Schalten auf Sparflamme“

Abstumpfung und Aufmerksamkeitsstörungen nehmen zu. Die Arbeit wird als frustrierend empfunden. Die ursprünglichen Wertvorstellungen verblassen. Folgen sind:

  • Gehemmtheit, aber auch Rastlosigkeit und Ruhelosigkeit,
  • Angstgefühle,
  • Gesteigerte Kränkbarkeit und Reizbarkeit,
  • zynische und aggressive Reaktionen,
  • Meiden privater, als belastend empfundener Kontakte und
  • Probleme mit dem Partner (Zeichen des „Beziehungs-Burnouts“).

(6) „Mattes Glimmen“

Das Gefühl, mehr geben zu müssen als nehmen zu können, führt zu:

  • Gefühl mangelnder Anerkennung,
  • Desillusionierung,
  • Neigung zu negativen Generalisierungen,
  • wachsender Widerstand, täglich zur Arbeit zu gehen,
  • reduziertes Engagement für Klienten, Kunden, Patienten, Schüler,
  • Schalten auf Autopilot,
  • Arbeitszeiteinstellung im Sinne der „inneren Kündigung“,
  • evtl. Aufblühen nach Feierabend (Chrysalis-Phänomen),
  • Fluchtphantasien und
  • vermehrte Fehlzeiten, verspäteter Arbeitsbeginn, vorverlegter Arbeitsschluss.

Der Rückzug hat begonnen, aber meist werden die auftretenden Probleme noch verleugnet!


(7) „Erlöschende Glut“

Die Arbeit macht keinen Sinn mehr, an dem man sich orientieren könnte. Es besteht auch keine Hoffnung auf Besserung mehr. Der Rückzug erscheit als die einzige sinnvolle Konsequenz. Das Verhalten verändert sich. Man fühlt sich ohnmächtig, wird apathisch und bedauert sich selbst. Es kommt zu einer Verflachung des sozialen Lebens mit schwindender persönlicher Anteilnahme an anderen, aber eventuell gleichzeitig mit exzessiver Bindung an Einzelne, die man dann als Krücke missbraucht. Beruflich-soziale Kontakte werden gemieden, da man sich sowieso von Freunden und Kollegen nicht verstanden fühlt.

Die Folgen sind:

  • verringerte Initiative und verringerte Produktivität (Dienst nach Vorschrift),
  • Abbau der kognitiven Leistungsfähigkeit (z. B. Konzentrationsstörungen),
  • Ungenauigkeiten, Desorganisation, Entscheidungsunfähigkeit,
  • Eigenbrötelei mit ärgerlichen Reaktionen auf gut gemeinte Zuwendungen,
  • Einsamkeit,
  • Gefühl innerer Leere
  • Gleichgültigkeit
  • angestrebte, aber nicht erfüllte Ersatzbefriedigung durch Essen, Alkohol, Drogen, Spielen,
    Einkaufen, Sexualität in exzessivem Ausmaße,
  • Gewichtsveränderung,
  • Psychosomatische Reaktionen (Herzklopfen, Bluthochdruck, Durchfall, Verstopfung) und
  • Depressive Verstimmungen mit Sinnlosigkeitsgefühlen.

(8) „Leer gebrannte Stätte“

Der Endzustand der totalen Erschöpfung ist erreicht. Starke schmerzhafte Emotionen wechseln sich mit dem Gefühl des inneren Abgestorbenseins ab. Die Betroffenen vereinsamen. „Die Entwertung der anderen schlägt um in die Entwertung der eigenen Person“ (Volker Faust (8)). Die manchmal unternommenen Versuche, sich durch exzessive sinnliche Befriedigungen wie z. B. durch Kaufrausch, Fressattacken und exzessiven, aber nicht befriedigenden Sex zu trösten, scheitern. Am Ende kommt es zu Krankheiten incl. Suchterkrankungen, Arbeitsplatzverlust mit anhaltender Arbeitslosigkeit. Das Scheitern der Ehe sowie ein sozialer Abstieg sind dann nicht selten die Folge. Am Ende besteht eine existentielle Verzweiflung. Die „Lebensaufgabe“ wird dann zur „Lebens-Aufgabe“ (T. Bergner), was sich zeigt in:

  • Verlust des Gefühls für die eigene Persönlichkeit,
  • automatenhaftes Funktionieren,
  • psychosomatische Reaktionen treten noch mehr in den Vordergrund,
  • angegriffenes Immunsystem (rezidivierende Infekte!), Herzkreislaufprobleme, Magen Darm-Erkrankungen,
  • Angststörungen, Soziale Phobien und Panikattacken,
  • Schmerzstörungen (Somatoforme Störungen)
  • Posttraumatische Störungen, Anpassungsstörungen,
  • Suchtkrankheiten,
  • lebensfeindliche Einstellungen,
  • Verbitterung,
  • Hoffnungslosigkeit,
  • Wunsch nach Dauerschlaf,
  • manifeste Depression mit Gefühl des Abgestorbenseins und
  • Existentielle Verzweiflung, Selbstmordgedanken, Selbstmordgefahr.

Die völlige Burnout-Erschöpfung betrifft damit sowohl die körperliche, als auch die psychische als auch die geistige als auch die soziale Dimension des Menschseins und sie ist  lebensbedrohlich!

Die Einteilung des Burnout-Prozess in Phasen dient nur der Orientierung, denn dieser Prozess verläuft nicht immer in derartigen geordneten Phasen.

3) Differentialdiagnose des Burnout-Syndroms

Wer kennt nicht den Zustand der Erschöpfung nach harter körperlicher oder geistiger Arbeit? Normalerweise kann man sich aber davon auch wieder erholen z. B. nach einem schönen Wochenende oder Urlaub. Dem Burnout-Patienten gelingt es dagegen nicht, aus seinem chronischen Erschöpfungszustand herauszukommen.
Chronische Erschöpfung und chronische Müdigkeit können als unspezifische Symptome natürlich auch Folgen körperlicher Erkrankungen sein wie z. B. Vitamin-, Elektrolyt-, Hormon-, Stoffwechselstörungen, schädliche Ernährungs- und Lebensgewohnheiten, Schlafmangel, toxische Umwelteinflüsse, Tumorerkrankungen, Entzündungen, Infektionen, Autoimmunkrankheiten, Leber- und Nierenstörungen etc. Chronische Erschöpfung und chronische Müdigkeit finden sich auch bei Psychosen wie z. B. einer endogenen Depression. Daher sind zunächst diese Erkrankungen durch entsprechende klinische Untersuchungen auszuschließen.
Das Burnout-Syndrom ist dadurch gekennzeichnet, dass der Betroffenen mehr und mehr zuerst in seiner Arbeit und schließlich, wenn es zum „Infarkt der Seele“ gekommen ist, auch in seiner ganzen Existenz keinen Sinn mehr sieht. Ein Sinn-Verlust liegt nicht nur dem Burnout-Syndrom zugrunde, sondern auch chronischem Stress, dem Phänomen der Inneren Kündigung, dem Mobbing, bestimmten Formen von Depressionen (sog. „noogene Depressionen), vielen Angstkrankheiten, Suchtkrankheiten und insbesondere auch dem mangelhaften (Selbst-) Vertrauen zugrunde (vgl. Abb. 3).

Die Zentrale Rolle des Sinn-Verlustes (Wolfgang Hoffmann)
Abb. 3: Die zentrale Rolle des Sinn-Verlustes bei mit Erschöpfung einhergehenden Störungen

Diese Störungen sind alle miteinander verflochten und können u. U. in einander übergehen. Trotzdem sollte man sich über die Unterschiede im Klaren sein:

Chronischer Stress entsteht immer dann, wenn ich etwas tue bzw. tun muss, was ich innerlich nicht will, zumindest nicht so tun will, z. B. wenn ich etwas nicht unter Zeitdruck tun will, wenn ich also in meiner Tätigkeit keinen Sinn sehe, weil ich keine Entscheidungsfreiheit und keine Kontrolle mehr über das Geschehen habe und dafür auch keine Selbstverantwortung übernehmen kann. Galeerensklaven z. B. litten unter Stress und entfremdeter Arbeit, aber sie hatten realistische Erwartungen, insbesondere erwarteten sie keine Belohnungen. Zum Burnout dürfte es bei ihnen nicht gekommen sein, worauf Burisch (3) hinweist. Beim Burnout habe ich im Unterschied zum Stress anfangs wenigstens mein volles, oft begeistertes Einverständnis zu meiner Tätigkeit gegeben. Zum Burnout kommt es erst, wenn  meine Erwartungen (z. B. auf Anerkennung) von der inneren und äußeren Realität nicht mehr erfüllt werden, wenn also eine mangelnde Passung zwischen Situation und Individuum besteht. Der Betroffene sieht dann in seinem Tun keinen Sinn mehr und erlebt sich fremdbestimmt. Der voran schreitende Burnout-Prozess ähnelt zunächst sehr stark dem chronischem Stress und am Ende schließlich einer Depression.
Beim Mobbing wird dem Betroffenen von seiner Umwelt auf verschiedene Weise mitgeteilt, dass er an seinem Arbeitsplatz ungeeignet ist und versagt, was sein Selbstvertrauen untergräbt. Das wird dadurch noch gesteigert, dass er z. B. degradierende, sinnlose oder überfordernde Aufgaben erhält, dass er „kaltgestellt“ wird und dass er Übergriffe erfährt. Wieder macht die Arbeit keinen Sinn mehr. Wieder geht die Kontrolle über das Geschehen verloren und der Betroffene erlebt sich als fremdbestimmt. Die Arbeit wird mehr und mehr zum chronischen Stress und das Ganze kann in einen Burnout-Prozess und in eine Depression münden.

Zur sog. „Inneren Kündigung“ kommt es nicht selten im Verlauf eines Burnout- oder Mobbing-Geschehens. Aber auch andere Ursachen für eine „Innere Kündigung“ kommen in Frage, wie z. B. veränderte Arbeitsbedingungen, Vertrauensverlust zu Vorgesetzten oder Kollegen etc., so dass die Arbeit ihren Sinn für die jeweilige Person verloren hat. Typisch für diejenigen, die bei ihrem Unternehmen innerlich gekündigt haben, ist, dass sie nach der Arbeit aufblühen (Chrysalis-Phänomen) und sie sich außerhalb der Firma neue Tätigkeitsfelder erschließen, was jemandem in einem fortgeschrittenen Burnout-Prozess später nicht mehr möglich ist.

Das Selbst-Vertrauen ist bei allen diesen Arbeitsstörungen angeschlagen; denn man erlebt sich fremdbestimmt, indem für einen Sinnloses tun muss bzw. Sinnlosem unterworfen ist. Am Ende können sogar Zweifel an der Existenzberechtigung stehen, so dass das lebenswichtige Urvertrauen dahinschwindet. Dann kann es leicht zu Angststörungen, zu Depressionen mit entsprechenden Ohnmachtsgefühlen und „erlernter Hilflosigkeit“ und zur Flucht in diverse Süchte kommen.

4) Burnout-Ursachen

Klaffen die Erwartungen, die man an die Arbeit stellt, und die Arbeitsrealität auseinander, so lebt man in einer Stress-Situation. Leicht fühlt sich der Betroffene mit seiner Arbeit überfordert. Die Ursachen für die Überforderung können vielfältig sein. Die Überforderungen
können individuellen, interpersonelle, institutionelle und/oder soziokulturelle Ursachen
haben (vgl. Abb. 4). Wie diese Überforderungsgefühle subjektiv erlebt werden, ist natürlich von Mensch zu Mensch sehr verschieden – genauso wie die ganz unterschiedlichen Gegebenheiten, von denen sie ausgehen.

Vier Ursachen für die Überforderung (Wolfgang Hoffmann)
Abb. 4: Die vier Möglichkeiten der Überforderung

Zu den möglichen soziokulturellen und institutionellen Ursachen eines Überforderungsgefühls gehört, dass wir heute in unserer westlichen Kultur und Gesellschaft eine Vielfalt von sich z. T. widersprechenden bzw. miteinander konkurrierenden Wertsystemen haben. In der Wirtschaft wird dabei der Effizienz der Arbeit der größte Stellenwert eingeräumt. Diese Effizienz lässt sich als das Verhältnis von Output zu Input verstehen. Die Kriterien dafür, was die Effizienz = betriebswirtschaftliche Leistung ausmacht, werden von außen durch Wirtschaft, Politik und Gesellschaft festgelegt (vgl. Abb.12). Immer mehr setzt sich dabei der wirtschaftliche Aspekt von Effizienz durch:

Effizienz (betriebswirtschaftliche Leistung) = Verhältnis von Gewinn zu Kosten.

Man versucht dann ständig, die Effizienz = betriebswirtschaftliche Leistung vornehmlich durch a) positive Verstärker (z. B. Prämien, Incentives etc.), b) „Rationalisierungen“ und Sanierungen und c) Überwachung und bürokratische Kontrolle zu steigern. Manchmal wird Effizienz auch durch negative Verstärker gedrosselt wie z. B. bei Bauern und Ärzten, wenn eben diese Effizienz einer anderen, als wichtiger angesehenen Effizienz im Wege steht.

Belohnung und Kontrolle bewirken i. a. nur eine kurzfristige Leistungssteigerung aber eine eventuell länger andauernde Schwächung des Selbstwertgefühls; denn wird bei Belohnungsanreizen und ausufernder Kontrolle (d. h. Überwachung bzw. Bürokratie) nicht insgeheim auch unterstellt, dass der Mitarbeiter eigentlich ein fauler Mensch ist, der nur durch diese Maßnahmen dazu gebracht werden kann, dass er Leistungen erbringt? Das Selbstwertgefühl wird auch dadurch nicht gerade gefördert, wenn man von „Rationalisierungen“ und „Sanieren“ durchführt, denn wörtlich verstanden heißt das ja, dass das Unternehmen und damit auch die Mitarbeiter „unvernünftig“ und „krank“ sind. Eine langfristige Leistungssteigerung ist dagegen doch nur mit starken Persönlichkeiten zu erreichen, die Sinn und Werte verwirklichen wollen!
Infolge der Effizienzsteigerung werden die Anforderungen am Arbeitsplatz immer größer und höher (s. Abb. 5). Der Zeitdruck und der Konkurrenzdruck nehmen zu. Huber sieht in der derzeitigen Wettbewerbskultur eine rituelle Umsetzung von aufgestauter Aggression. Die Wettbewerbskultur fordert den Einzelnen ständig zum Vergleich heraus. Wenn er diesem Vergleich nicht standhalten kann, ist in erster Linie er selbst daran schuld. So schwindet seine Selbstsicherheit dahin. Die Unsicherheit wächst weiter durch die fehlende Verwurzelung in ein stabiles familiäres System und in allgemein gültige Wertesysteme. Dazu kommen dann die nicht mehr zu bewältigende Wissensexplosion, die ständigen Neuerungen und am Ende die Kündigungen. So beobachtete man eine 40% höhere Sterblichkeit bei Menschen, die 8 Jahre lang erleben mussten, wie in ihrem Umfeld Entlassungen vorgenommen wurden. Der lebenslange Beruf ist häufig zum nur vorrübergehendem Job geworden. Bei dieser Hektik reduziert sich auch die Zeit für Kommunikation, für Supervision, für Entfaltung von Kreativität und für Problemlösungen.

Mögliche gesundheitliche Folgen der Effizienzsteigerung (Wolfgang Hoffmann)
Abb. 5: Mögliche gesundheitliche Folgen der Effizienzsteigerung

Die Arbeit verliert an Transparenz, was durch eine bürokratische Überregulierung auch nicht kompensiert wird. Immer weniger Einfluss auf die Arbeit ist möglich. Die Glaubwürdigkeit und das Vertrauen in Firma, Arbeitsphilosophie, Vorgesetzte und Mitarbeiter schwinden. Die Arbeit wird als Sinn-entleert und zermürbend empfunden und die Motivation geht verloren. Der steigende Arbeitsstress kann schließlich zu Gesundheitsstörungen und Burnout-Syndrom führen, besonders wenn dazu noch wenig Unterstützung und Anerkennung von oben und unten erfolgt. Viele Menschen fühlen sich ihrer Arbeit nicht mehr gewachsen.

Alarmierende Ergebnisse zeigte eine DGB-Studie von 2008:

Jeder 3. hasste seinen Job (nur 13% waren zufrieden, bei Zeitarbeit sogar nur 2%).
Ganz wichtig waren den Beschäftigten die folgenden Themen: Macht meine Arbeit Sinn? Besteht eine gute Kollegialität? Gibt es Bestätigung, Verständnis, Anerkennung? Erst auf Platz 16 landeten die Fragen nach Arbeitszeit und auf Platz 17 die nach Vergütung.

Ein wichtiger Punkt ist ferner die Freiheit, Eigeninitiative entfalten zu können. Das beweist die von Langer und Rodin 1976 bei Altenpflegeheimbewohnern durchgeführte Studie (zitiert bei Burisch (3)). Hier wurde die Eigeninitiative bei Altenpflegeheimbewohnern in der ersten Gruppe verstärkt und in der zweiten Gruppe geschwächt, indem den Mitgliedern der ersten Gruppe eine Topfpflanze angeboten wurde mit der Möglichkeit, sich diese auszusuchen und eventuell auch die Pflege zu übernehmen, während der zweiten Gruppe die Pflanze einfach nur hingestellt bekamen, die dann auch vom Personal versorgt wurde. Außerdem durfte die erste Gruppe entscheiden, ob sie einen Film lieber am Freitag oder am Samstag ansehen wollte, während die zweite Gruppe vom Personal zum Filmbetrachten für den Freitag bzw. Samstag  eingeteilt wurde. Diese zwei Möglichkeiten für eine minimal erscheinende Eigeninitiative brachten der ersten Gruppe einen riesigen Gewinn; denn im Vergleich zur zweiten Gruppe nahmen bei ihren Mitgliedern schon nach 3 Wochen Aktivität, Zufriedenheit und Wachheit zu und nach 1½ Jahren betrug die Sterblichkeit (Mortalitätsrate) in ihrer Gruppe nur 15% im Vergleich zu 30% in der zweiten Gruppe (Referenzgruppe)! Die Möglichkeit, Eigeninitiative entfalten und Verantwortung übernehmen zu können, fördert offenbar die Gesundheit und beugt sicher einem Burnout-Syndrom vor!Die Liste möglicher äußerer Faktoren, die zum Burnout-Syndrom führen können, ist mit Sicherheit nicht abschließbar, weshalb an dieser Stelle nur einige, derzeit gesellschaftlich als typisch angesehene und von Volker Faust (8) stichwortartig zusammengefasste Situationen genannt werden sollen: „Hohe Arbeitsbelastung; schlechte Arbeitsbedingungen; Zeitdruck oder zu großes Pensum in einem zu eng gesteckten Zeitrahmen, vor allem stoßweise; schlechtes Betriebsklima; wenig tragfähige Beziehungen zu den Mitarbeitern; wachsende Verantwortung; Nacht- und Schichtarbeit, vor allem dort, wo man sich nicht arbeitsphysiologischen Erkenntnissen anpassen will oder kann; unzulängliche materielle Ausstattung des Arbeitsplatzes; schlechte Kommunikation unter allen Beteiligten (Arbeitgeber, aber auch Mitarbeiter untereinander); zu geringe Unterstützung durch den Vorgesetzten; wachsende Komplexität und Unüberschaubarkeit der Arbeitsabläufe und Arbeitszusammenhänge; unzureichender Einfluss auf die Arbeitsorganisation; Hierarchieprobleme; Verwaltungszwänge; Verordnungsflut (gestern neu, heute zurückgenommen, morgen modifiziert usw.); Termin- und Zeitnot; unpersönliches, bedrückendes oder intrigenbelastetes Arbeitsklima, vom Mobbing ganz zu schweigen; ferner ständige organisatorische Umstellungen, ohne die Betroffenen in Planung und Entscheidung einzubeziehen, bei Misserfolgen aber verantwortlich zu machen; zunehmende, immer neue und vor allem rasch wechselnde Anforderungen; zuletzt die wachsende Angst vor Arbeitsplatzverlust u.a.m.“
Besonders schlimm wirkt sich die Überbelastung dann aus, wenn sie bagatellisiert oder gar heroisiert wird (wie z. B. bei Ärzten, die wegen ihres idealisierten Selbstbilds Hilfe oft nicht zulassen). Bestimmte Berufe tragen aufgrund ihrer Anforderungen ein besonders hohes Risiko für ein Erschöpfungs- und Überforderungssyndrom in sich wie z. B. soziale und helfende Berufe (vgl. Jörg Felder: „Helfen macht müde“ (7)) Bei Lehrern, Managern, Seelsorgern, Künstlern etc. besteht z. B. ein hoher Anspruch an die eigene Tätigkeit besteht und der persönliche Erfolg ist entweder schwer messbar (soziale oder künstlerisch-kreative Berufe) oder aber nach oben hin nicht begrenzt (entgrenzte Tätigkeit bei Managern und Selbständigen) oder schwer erreichbar (andauernde Frustrierung eigener oder akzeptierter Leistungs- und Erfolgsvorgaben).

Laut Hans-Peter Unger sind psychosomatische Erkrankungen die Arbeitsunfälle unseres Jahrhunderts!

Ein Burnout-Prozess wird natürlich auch dadurch noch gefördert, wenn z. B. zusätzlich zum Arbeitsstress noch interpersonelle Belastungen z. B. durch interfamiliäre Konflikte oder durch Versorgung von Haushalt, Partner, Kindern, anderen Familienangehörigen oder gar Pflegefällen dazukommen. Zu weiteren interpersonellen Stressquellen können auch Freunde, Liebhaber, Nachbarn und Kollegen werden. Am Arbeitsplatz übertragen manchmal „alte Hasen“ ihren Burnout-Zustand auf die begeistert startenden Kollegen mit Killerphrasen wie „Mit solch blauäugigen Vorstellungen haben wir auch mal angefangen!“, „Warten Sie mal ab, Sie werden schon sehen, dass alle Mühe umsonst ist!“, „Das haben schon ganz andere versucht!“, „Das ist doch gar nicht genügend abgesichert!“ oder nur „Das haben wir hier noch nie so gemacht!“ u. s. w. (s. Eckhart Müller (4)).

Die soziokulturellen und institutionellen Gegebenheiten lassen sich i. a. von einem einzelnen Menschen nur wenig beeinflussen. Es ist aber wichtig und für die Betroffenen erleichternd, sie von den interpersonellen und individuellen Ursachen abzugrenzen, die der Betroffene durchaus beeinflussen kann. Dazu ist allerdings nötig, seine eigenen individuellen Schwächen und Burnout-Risiken zu erkennen und ihnen dann auch gegenzusteuern.

Es gilt daher zu erforschen, welche Charakter-Strukturen einen Burnout-Prozess fördern.
Burisch (3) weist darauf hin, dass sowohl der bis an seine Leistungsgrenzen und darüber hinaus unentwegt schaffende Arbeitsfanatiker (Typ  A) als auch der mehr auf umsorgende Führung wartende Mitläufer (Typ B) einsame, zum Gefühlsausdruck unfähige Menschen sind, die nach Anerkennung dürsten. Damit machen sie sich von anderen abhängig, so dass sie ihr ohnehin schwaches Ich noch weiter schwächen. Typ A begann seine Arbeit mit „Feuer und Flamme“ und entwickelte sich dann zum Arbeitsfanatiker, aber selbst der leistungsschwache Typ B kann anfangs mit Begeisterung sehr gute Leistungen hervorgebracht haben. Nur zu seinem (und der Institution) Pech wurde er daraufhin in eine gehobenere Position befördert, in der er nun überfordert ist (The Peter-Principle). Mit der Zeit laufen die Risiko-Typen A und B aber in Gefahr, dass sich bei ihnen langsam ein arbeitsbedingter Zustand zunehmender Erschöpfung entwickelt infolge des andauernden Kräfteverzehrs aufgrund von innen und/oder von außen kommender Überforderungen.

Wie bereits schon mehrfach betont wurde, sind besonders die Menschen gefährdet, an einem Burnout-Syndrom zu erkranken, die sich, z. B. in ihrem Hunger nach Anerkennung, von anderen abhängig machen und sich also fremdbestimmt verhalten, die alles selber machen wollen und nicht delegieren können, die gerne nach außen als stark erscheinen wollen, ohne es zu sein und die sich gerne überfordern, z. B. infolge einer Perfektionsversessenheit u.s.w. Die folgende Aufzählung Burnout fördernder Charaktereigenschaften erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit:

  1. Angst vor Risiko und Misserfolg,
  2. rigides, strenges Gewissen mit Neigung zu Perfektionismus und Zwanghaftigkeit,
  3. starker Ehrgeiz,
  4. Helfersyndrom,
  5. mangelnde Selbstachtung und Selbstbehauptung (Angst vor Konflikten),
  6. Abhängigkeit von äußerer Bestätigung (Liebe, Erfolg, Macht),
  7. Unterordnung unter starre Familienmythen (z. B. „Ohne Fleiss kein Preis“ etc.)
  8. Neigung zu Irritationen, Sorgen und Depressionen,
  9. Reaktionsschnelle, aber rasche Ermüdbarkeit
  10. Ungeduld, aber geringe Belastbarkeit,
  11. geringe Frustrationstoleranz und leichte Kränkbarkeit und
  12. geringe Stress-Resistenz.

Geringe Stress-Resistenz besteht dann, wenn die Stressbewältigungsstrategien unzureichend sind, gekennzeichnet z.B. durch:

Fehlendes Organisationstalent

  • fehlendes Organisationstalent,
  • mangelhaftes Zeitmanagement,
  • Unfähigkeit zu delegieren,
  • Unfähigkeit zwischen durch abzuschalten & zu entspannen,
  • leichte Kränkbarkeit,
  • Unfähigkeit sich zu distanzieren und sich nicht alles zu Herzen zu nehmen,
  • Gefühl der Fremdbestimmtheit bei der Arbeit (Kontrollverlust) und
  • fehlende Einsicht in den Sinn der Arbeit.

Es gibt somit keine singuläre Ursache des Burnout-Syndroms, sondern es gibt immer nur Konstellationen, die die Entwicklung eines Burnout-Syndroms begünstigen.
Bei all den möglichen Wechselwirkungen zwischen individuellen und allgemeinen situativen Faktoren, die bei der Entwicklung eines Burnout-Syndroms eine Rolle spielen können, ist es hinsichtlich des Burnout-Prozesses immer wichtig auf 1.) die persönliche Disposition und 2.) die objektiven Arbeitsvorgaben hinsichtlich Art, Umfang und Zielsetzungen zu schauen und dann zu untersuchen, wie realistisch die Zielsetzungen und Belohnungserwartungen des jeweiligen Individuums sind. Zeichnet sich ein Realitätsverlust ab, so droht der in Abb. 6 dargestellte Teufelskreis: die nicht ausbleibenden Enttäuschungen und Fehlschläge verstärken sich, wenn rigide an den unrealistischen Zielen und Erwartungen festgehalten wird, weil mit

Persönlichkeitsschwächung mit Gestaltungsverlust infolge Realitätsverlust (Wolfgang Hoffmann)
Abb. 6: Persönlichkeitsschwächung mit Gestaltungsverlust infolge Realitätsverlust

der frustrierenden Realität nicht umgegangen bzw. sie nicht ausgehalten wird. Diese persönlichkeitsbedingte Schwäche und die daraus resultierende Angst und Machtlosigkeit nimmt zu, wenn sich diese Menschen von der Meinung anderer abhängig machen und nicht den Mut aufbringen, selbstverantwortlich mit Flexibilität und Kreativität auf die Realität zu reagieren. Das Gespür von innerer Kraft schwindet immer mehr dahin, so dass sich die Betroffenen nicht mehr in der Lage fühlen, den Herausforderungen zu begegnen. Damit geht auch die Entscheidungs-, Gestaltungs- und Handlungsfähigkeit verloren, was ein Fehlverhalten fördert. Dieser Spannungszustand lässt sich auf die Dauer nicht aushalten! Am Ende steht der Teufelskreis der Depression, denn mit weniger Engagement werden auch weniger Ziele und Belohnungen erreicht, so dass die Depression sich ihre eigene Berechtigung geschafft (M. Burisch (3)). Selbstvertrauen, Leistungsfähigkeit und soziale Beziehungen schwinden dahin.Es ist bereits wesentlicher Gegenstand der Therapie, herauszufinden, welche Bedeutung in jedem Einzelfall die persönliche Disposition und welche die äußeren Faktoren haben. Aus dieser Analyse und Selbsterkenntnis ergeben sich dann die individuellen Wege, um erneute Rückfälle zu vermeiden und in Zukunft besser geschützt zu sein vor Entgrenzungen.
Abschließend ist festzustellen, dass leider die zum Burnout-Syndrom führenden äußeren Arbeits- und Belastungsfaktoren noch unzureichend wissenschaftlich untersucht sind i. G. zu dem Erkrankungsprozess und den zu ihm gehörenden persönlichen Dispositionen.

5) Prophylaxe und Therapie des Burnout-Syndroms

5.1) Prophylaxe und Therapie durch Persönlichkeitsentwicklung

Eine drohende Gefährdung durch einen Burnout-Prozess liegt immer dann vor, „wenn in dem Bestreben, der Aufgabe und den gesteckten Zielen gerecht zu werden, eigene Bedürfnisse und Grenzen vernachlässigt, langfristig übergangen, ignoriert oder gar nicht mehr wahrgenommen werden – oder wenn eine Tätigkeit ausgeübt wird, die sich nicht in sicheren Grenzen bewegt und für deren Bewältigung die persönlichen und/oder fachlichen Voraussetzungen fehlen. Dieselbe Gefahr besteht, wenn der Betreffende denkt, seine Qualifikationen oder Fähigkeiten reichen zur Bewältigung der Aufgabe nicht aus und er sich deshalb andauernd überfordert fühlt!“ Das subjektive Empfinden ist für das Entstehen oder Nicht-Entstehen eines Burnout-Syndroms maßgeblich und ein starkes Ich die beste Gegenmaßnahme!
Am Anfang aller prophylaktischen und therapeutischen Anstrengungen steht daher die Persönlichkeitsentwicklung, die Bildung eines starken „authentischen“ Ichs. Um im Leben Krisen bewältigen zu können, braucht jeder Mensch ein gesundes Selbstbewusstsein, eine angemessene, aber nicht überzogene Selbstsicherheit, ein gutes Selbstwertgefühl und ein belastbares Selbstvertrauen. Andererseits lässt jede erfolgreich bewältigte Krise Selbstbewusstsein, Selbstsicherheit, Selbstwertgefühl und Selbstvertrauen wachsen und stärkt auch gleichzeitig das Vermögen, Ängsten standzuhalten, Niederlagen hinzunehmen und Frustrationen zu ertragen. So entwickelt jeder seine Persönlichkeit und individuelle Identität in einem lebenslangen Prozess weiter.

Entwicklung einer belastbaren Persönlichkeit (Wolfgang Hoffmann)
Abb.7 :  Entwicklung einer belastbaren Persönlichkeit

Die Ausbildung einer belastungsfähigen Ich-Identität lässt sich in vier Stufen beschreiben (s. Abb. 7). „Die unterste ist das reine Selbstbewusstsein. Wenn auch manchmal Selbstbewusstsein mit Selbstvertrauen verwechselt wird, meint der Begriff „Selbstbewusstsein“ eigentlich nur, dass ich mich meiner selbst bewusst bin, dass ich meinen Körper spüre, meine Gefühle wahrnehme und auch dass ich mich kenne mit meinen Stärken und Schwächen. Selbstsicherheit bezieht sich auf mein Auftreten anderen gegenüber. Dabei ist entscheidend, ob die Sicherheit nur vorgetäuscht ist oder ob sie echt ist. Selbstwertgefühl habe ich, wenn ich mir meines Wertes bewusst bin. Selbstwertgefühl entspringt der geistigen Auseinandersetzung mit Werten und der Sinnverwirklichung. Selbstvertrauen ist mit der im weitesten Sinne religiösen Erfahrung verbunden, dass ich darauf vertrauen darf, dass ich gewollt bin und dass mein Leben Sinn in sich trägt. Deshalb darf ich mich im Leben – allen Widerwärtigkeiten zum Trotz – geborgen fühlen und dafür dankbar sein. Selbstvertrauen schafft Selbstwertgefühl und beides sorgt für Selbstsicherheit und Selbstbewusstsein. Selbstvertrauen ist mit Urvertrauen verbunden. Elisabeth Lukas (8) weist darauf hin, dass Urvertrauen das tragende Wertempfinden aus der Vorunglückszeit ist und deswegen reaktivierbar ist und dass Urvertrauen die „Einwilligung“ in den Verlust schafft“ (9).
Möglichkeiten, wie man in einem ersten Schritt sein Selbstbewusstsein und seine Selbstsicherheit steigern kann, sind z. B.:

  • Selbsterkenntnis (z. B. seinen Charaktertypus erkennen mit seinen Stärken und Schwächen)
  • Selbstwahrnehmungstraining  (z. B. Körperwahrnehmung, Wahrnehmung seiner Gefühle)
  • Wahrnehmung eigener Sinn- und Wertvorstellungen
  • Lernen Selbstannahme und Mut (Urvertrauen)
  • Training der Entscheidungsfindung
  • Kreativitätstraining
  • Selbstdistanzierung und Humor

Um sein Selbstbewusstsein im wörtlichen Sinne weiterzuentwickeln, ist es z. B. gut, sich selbst zu erforschen, seinen Charaktertypus kennen zu lernen mit all seinen Stärken und Schwächen. Selbstbewusstsein und Selbstsicherheit lassen sich ferner auch verhaltenstherapeutisch z. B. durch Selbstwahrnehmungstraining, Kontakt- und Kommunikationstraining, Konfliktmanagement, Selbstbehauptungstraining, allgemeines, fachliches und soziales Kompetenztraining u. s. w. fördern. Seine soziale Kompetenz kann man z. B. durch die folgenden Trainingsprogramme verbessern:

  • Kommunikationstraining und Konfliktmanagement,
  • Kontakte herstellen und beenden können,
  • Gespräche beginnen, durchhalten und beenden können,
  • Überwindung von Schüchternheit,
  • seine Gefühle zeigen und seine Wünsche äußern können,
  • Komplimente machen und annehmen können,
  • sich entschuldigen können,
  • um Gefallen und Hilfe bitten und delegieren können,
  • Danken können,
  • Widersprechen und Nein-sagen können,
  • Kritik vertragen können und
  • eigene Schwächen eingestehen können.

Je besser meine soziale Kompetenz ist, desto stabiler werden meine sozialen Beziehungen, durch die ich auch immer sehr viel über mich erfahre und somit mein Selbstbewusstsein und meine Selbstsicherheit, aber auch mein Selbstwertgefühl stärke. Martin Buber bringt das auf den Punkt: „Das Ich wird erst am Du. Alles wirkliche Leben ist Begegnung“!

Ganz allgemein kann man sagen, dass man mit dem, was man tut oder nicht tut, sich auch immer ein Stück weit sich selbst erschafft. Das Resultat dieser Selbstgestaltung hängt davon ab, ob das, was ich getan oder nicht getan habe, sinnvoll und wertvoll war oder nicht. Es geht also noch um mehr als nur um Selbstbewusstsein und Selbstsicherheit: es geht um das Selbstwertgefühl, in dem ich meine ganz persönlichen Selbstwert durch die Erkenntnis und Verwirklichung von Sinn und Werten erfahre. So kann ich mein Selbstwertgefühl durch eine „Selbstverwirklichung“ gemäß Viktor Frankl steigern. Frankl sagt: „In dem Maße, in dem der Mensch Sinn erfüllt, etwa in der Hingabe an eine Sache oder in der Liebe zu einem anderen Menschen, verwirklicht er sich selbst.“  Er zitiert auch Karl Jaspers: „Was der Mensch ist, das ist er durch die Sache, die er zur seinen macht.“, d. h. es gibt eine „Selbstgestaltung durch Sinnverwirklichung“ (9). Wenn die Erfahrung und Verwirklichung von Sinn und Werten meinen Selbstwert bestimmt, dann werde ich zugleich unabhängig vom Urteil anderer, so dass ich Freiheit und Selbstverantwortung gewinne – eine Grundvoraussetzung zur Entwicklung einer eigenen unverwechselbaren Identität.

„Zur Entwicklung eines gesunden Selbstwertgefühls scheint daher die auf Sinnerfahrung ausgerichtete Logotherapie besonders hilfreich zu sein. Die Beschäftigung mit Sinn und Werten lässt die spirituellen Tugenden nicht unberücksichtigt. Nach Frankl wendet man sich damit einer einem selbst vielleicht nicht bewussten Religiosität zu, ganz im Sinne des Ausspruchs von Albert Einstein: „Religiös sein ist, eine Antwort auf die Frage nach dem Sinn des Lebens wissen“. Wer aber um den Sinn des Lebens weiß, der hat auch Selbstvertrauen“ (9).

All diese Schritte zur Persönlichkeitsentwicklung stellen gewissermaßen das Vorfeld der Burnout-Prophylaxe dar!

5.2) Selbst-Analyse zur Vermeidung und Therapie eines Burnout-Syndroms

Weil sich Burnout-Syndrome meist sehr langsam entwickeln, werden sie von den Betroffenen und auch von Mitarbeitern, Vorgesetzten und Angehörigen selten rechtzeitig als Krankheit erkannt. Weil sie den Ernst ihrer Situation nicht erkennen, versuchen die Betroffenen oft jahrelang, selber einen Weg aus der Krise zu finden. In der Regel erfolgen diese Selbstheilungsversuche unter zunehmender Abspaltung und Ignoranz eigener seelischer Bedürfnisse.
In den Anfängen sind die Symptome eines Burnout-Syndroms milde, so dass wenige Maßnahmen und nur kleinere Veränderungen ausreichen, um die Symptome zu beseitigen. Bei drohendem Burnout-Syndrom ist das wichtigste, seine Handlungen nicht zu einer unreflektierten Routine werden zu lassen und einen bisherigen destruktiv wirkenden Modus möglichst schnell aufzugeben und sich gegebenenfalls rechtzeitig Hilfe zu holen. Das kann auch bedeuten, einen unguten, für einen nicht adäquaten Arbeitsplatz rechtzeitig zu verlassen!
Die Früherkennung und noch mehr die Prophylaxe sind also sehr wichtig! Daher ist eine Selbst-Analyse sehr empfehlenswert, indem man sich in regelmäßigen Abständen folgende Fragen stellt:

  1. Was könnte mein Beitrag zum Burnout sein?
  2. Wo setze ich mich unter Druck? Wovon mache ich mich abhängig?
  3. Was sind meine persönlichen Stärken und Schwächen?
  4. Wie gehe ich mit Ängsten, Verlustsituationen und Frustrationen um?
  5. Wo sind meine Grenzen ? Wo überschreite ich sie?
  6. Welche Umweltfaktoren sind beteiligt ? Sind sie beeinflussbar?
  7. Welche Berufs-“Mythen“ existieren ? Sind sie beeinflussbar?
  8. Verfüge ich über ein funktionierendes Zeitmanagement?
  9. Wer bzw. was kann mir helfen?
  10. Welche sozialen Beziehungen sind für mich wichtig? Was tue ich für diese?
  11. Wie und wo kann ich mich entspannen? Wo sind meine Kraftquellen?
  12. Gibt es Freiräume (arbeits-, freizeitmäßig)?
  13. Kann ich Grenzen setzen? Wo und wie kann ich mich durchsetzen?
  14. Will ich Leistung (innere Übereinstimmung) oder Erfolg (äußere Anerkennung)?
  15. Welche Bedeutung hat für mich überhaupt meine Arbeit?
  16. Was macht für mich bei der Arbeit Sinn?
  17. Welche Langzeit-Ziele habe ich?
  18. Fühle ich mich wohl in mir und mit mir? Möchte ich mein Freund sein?

Die Fragen (1) und (3) gelten u. a. auch meiner Charakterstruktur. Eine gewisse Kenntnis meiner selbst ist also von Vorteil. Insbesondere sollte ich mich selbst danach fragen, wovon ich mich abhängig mache; denn Fremdbestimmtheit ist Gift für ein gesundes Selbstwertgefühl. Bin ich derjenige, der sich seine Arbeit ausgesucht hat? Bin ich derjenige, der die damit verbundenen Konsequenzen aushalten will? Bin ich bereit, den Preis für meine Entscheidung zu zahlen?  Muss ich oder will ich? Bin ich also fremdbestimmt oder selbstbestimmt? Wenn ich meine Situation nicht ändern kann, so kann ich wenigstens meine Einstellung zu ihr ändern („Einstellungswerte“ nach Frankl).
* Wie gehe ich mit Ängsten, Verlustsituationen und Frustrationen um (Frage (4)? Hier geht es zunächst darum, dass bei Kränkungen, Frustrationen oder allgemeinen Wertverlusten, Nichterfüllung von Erwartungen,  insbesondere beim Fehlen von Anerkennung, der in Abb. 8 dargestellte Prozess in Gang gesetzt wird, der mit oft unbewusster Angst beginnt, die im Unbewussten z. B. mit Hilfe von Verdrängung abgewehrt wird und der dann entweder in ein kindlich-hilfloses Verhalten zurückfällt oder in einen aggressives Verhalten umschlägt. Meist wechseln sich dann die Verhaltensmuster miteinander ab. Verharrt man in diesem Zustand von einerseits Hilflosigkeit, Scham, Selbstmitleid und andererseits Wut und Rachegelüsten, so wird sich höchstwahrscheinlich die missliche Ausgangssituation noch verschlimmern!

Entwicklung von (Frustrations)-Toleranz und -Akzeptanz (Wolfgang Hoffmann)
Abb. 8: Entwicklung von (Frustrations-)Toleranz und Akzeptanz

Wie ich in dem Artikel „Von der Toleranz zur Akzeptanz“ (s. www.wolfgang-hoffmann.info (9)) ausführlich beschrieben habe, kann der Mensch sich aber aus dem nicht hilfreichen Regressions-Aggressions-Muster befreien, indem er sich auf seine geistigen Kräfte besinnt, die ungute Situation zunächst aushält, bis er sie endlich bedingungslos akzeptieren kann, wenn sie nicht zu ändern ist oder bis er sie mit Mut verändert, wenn sie zu ändern ist. Vorrausetzung dafür ist, dass ich mich uneingeschränkt dem Gebet von Sir Thomas More anschließen kann: „Gott gebe mir die Gelassenheit, Dinge hinzunehmen, die ich ändern kann, den Mut, Dinge zu ändern, die ich ändern kann und die Weisheit, das eine vom anderen zu unterscheiden“. Burisch (3) und Müller (4) konnten aber immer wieder feststellen, „dass vom Ausbrennen betroffene Menschen dazu neigen, dasjenige, was veränderbar wäre, hinzunehmen und sich an Bemühungen, das Unveränderbare zu beeinflussen, aufreiben; also genau diese Weisheit der Unterscheidungsfähigkeit nicht besitzen“. Ob ich nun an meiner Situation etwas ändern kann oder nicht, so ist oft die Auseinandersetzung mit den möglicheweise auftretenden schlimmsten Konsequenzen („worse-case“-Betrachtung) hilfreich, weil ich meist dadurch erkenne, dass auch im schlimmsten Fall nicht alles verloren ist, dass es immer noch mindestens eine Chance sowie einen Freiraum gibt. Von den Möglichkeiten, Fehlschläge zu bewältigen, ist die Konfrontation mit Problem und Problempartnern und das Treffen bewusster Entscheidungen sicher das beste Coping. Hilfreich sind auch der Einsatz von Humor und die Suche nach Beistand. Wenn ich gar nichts mehr ändern kann, so kann ich doch wenigstens meine Einstellung zu der misslichen Situation ändern (Frankl).
Diese Frage nach dem Änderbaren und Nicht-Änderbaren führt uns zur nächsten Frage:

  • Kenne ich meine Grenzen, insbesondere auch bei einer „entgrenzten Tätigkeit“ (Frage (5))?
  • Natürlich muss ich mich auch mit den Bedingtheiten meiner Umwelt und den in ihr tradierten Mythen auseinandersetzen und dabei abklären, ob ich sie beeinflussen kann (Frage (6) und (7)).
  • Insbesondere ist ein funktionierendes Zeitmanagement mit Aufdeckung von Zeitdieben und die Unterscheidungen von wichtigen und nicht wichtigen und/oder dringenden und nicht dringenden Aufgaben (Frage (8)) sehr hilfreich (s. Abb. 9).

Entscheidungshilfe beim Zeitmanagement nach Eisenhower (Wolfgang Hoffmann)
Abb. 9: Entscheidungshilfe beim Zeitmanagement (nach Eisenhower)

  • Mindestens genauso bedeutsam, ist es, sich nach Hilfe und nach Möglichkeiten des Delegierens umzuschauen (Frage (9)).
  • Nicht nur dazu, sondern auch für das seelische Wohlbefinden ist wichtig und heilsam, über gute soziale Beziehungen zu verfügen (Frage (10)). Oft wird gerade der soziale Beziehungspartner, der für einen die größte Bedeutung hat und mit dem man eventuell ein lebenslanges Projekt plant, nämlich der Ehe- oder Lebenspartner bzw. die Familie, sträflich vernachlässigt.
  • Dabei stellen diese Menschen wie überhaupt gute Freunde (Frage (11)) neben einer religiös-spirituellen Kraftquelle meine besten Ressourcen dar, die einen Ausgleich zur Arbeit schaffen und bei denen ich mich am wirkungsvollsten erholen und entspannen kann.
  • Nicht nur in diesem Zusammenhang stellt sich die Frage nach meinen Freiräumen (Frage (12)). Bin ich der „Herr in meinem Haus“? Bin ich das zumindest in meiner Freizeit? Wo bin ich von bestimmten Bedingtheiten abhängig, wo mache ich mich abhängig, wo bin ich frei? * Stehe ich am Steuer meines Lebensschiffes oder überlasse ich das Steuer lieber anderen; d. h. auch: Kann ich mich durchsetzen? Kann ich Grenzen setzen? Kann ich z. B. auch „Nein“ sagen? (Frage (13)). Kenne ich meine arbeitsmäßigen und freizeitmäßigen Freiräume und nutze ich sie? Wenn ich Freiheit habe, so habe ich auch Verantwortung. Wenn ich aber Verantwortung habe, so habe ich auch Freiheit. Die Freiheit, sich entscheiden zu können, ist verbunden mit der Freiheit, „Nein“ sagen zu können.
  • Die Frage nach der Fremd- oder Selbstbestimmtheit führt zu der Frage nach meiner Arbeitsmotivation. Geht es mir mehr um Erfolg als um Leistung (Frage 14)?  Zumindest ist im Verständnis der Logotherapie der Erfolgsorientierte fremdbestimmt, während der Leistungserbringer sich seine Maßstäbe selbst setzt, so wie sie ihm sinnvoll erscheinen (s. Abb. 10). So ist auch der Satz von Walter Böckmann zu verstehen: Sinn erfordert nicht immer Leistung, aber Leistung setzt immer Sinn voraus! ( 13).

Logotherapeutische Unterscheidung zwischen Leistung und Erfolg (Wolfgang Hoffmann)
Abb. 10: Logotherapeutische Unterscheidung von Leistung und Erfolg

  • Da liegt die Frage (Frage (15)) nahe, welche Bedeutung meine Arbeit für mich hat bzw. welche Erwartungen ich bei meiner Arbeit hege. In meinem Artikel „Existenz zwischen Ordnung und Chaos – ein Spiel?“ (s. https://www.wolfgang-hoffmann.info (10)) habe ich 12 verschiedene Möglichkeiten zusammengestellt, was Arbeit für einen schaffenden Menschen bedeuten kann:
    1. Arbeit als Mühe
    2. Arbeit als Notwendigkeit und Zwang
    3. Arbeit als Kraft- und Kompetenztraining
    4. Arbeit als Hilfe bei der Strukturierung der Zeit
    5. Arbeit als Selbstbestätigung
    6. Arbeit als Notwendigkeit für Karriere und Image-Zuwachs
    7. Arbeit als Vorwand
    8. Arbeit als Zeitvertreib und Abwechselung
    9. Arbeit als Unterhaltung und Kontaktvermittlung
    10. Arbeit als Glückserlebnis (= „Flow“ (Mihaly Csikszentmihalyi))
    11. Arbeit als SpielArbeit als Herausforderung und befriedigende Sinnstiftung

Für eine bestimmte Person können mehrere Bedeutungen gleichzeitig zutreffen, die dann entsprechende Empfindungen auslösen. Stimmen für mich die Bedeutungen (7) – (12), so wird die Gefahr, dass ich ein Burnout-Syndrom erleide, gering sein. Daher beuge ich einem Burnout-Syndrom vor, wenn ich bei meiner Arbeit Aspekte entdecke, die sich den Arbeitsgründen (7) – (12) zuordnen lassen. Das ist besonders dann der Fall, wenn mir die Arbeit interessante und wohltuende soziale Kontakte verschafft (Bedeutung (9)). Nicht nur auf diese Weise kann mir die Arbeit dann sogar zu Glückserlebnissen (Bedeutung (10)) verhelfen. So kann sich gerade, wenn ich mich bis an die Grenzen meiner Leistungsfähigkeit belaste, wenn ich mich ganz meiner Arbeit hingebe und in ihr aufgehe, ein von M. Csikszentmihalyi „Flow“ genanntes Glücksgefühl einstellen (s. Csikszentmihalyi (13), vgl.  auch Internet-Artikel „Glück und Gesundheit“, s. https://www.wolfgang-hoffmann.info (11)).
Wenn es bei meiner Arbeit zu „Flow“-Erlebnissen kommt, ist oft der Unterschied zwischen Arbeit und Spiel (Arbeits-Bedeutung (11)) nicht sehr groß. Auf den ersten Blick scheint Arbeit das Gegenteil von Spiel darzustellen und umgekehrt. Aber Arbeit und Spiel haben viele Gemeinsamkeiten:

  • klare Ziele und Ausführungsregeln
  • Zusammenwirken von Planung und Zufall
  • Feedback
  • Kontrolle über die Aufgabenerledigung
  • Periodischer Ablauf (Projekte / Spielrunden)
  • Erfordernis von Konzentration
  • Spielraum (z. B. für Kreativitätsentfaltung)
  • Zuwachs an Erfahrung und Fähigkeiten
  • Förderung sozialer Kooperation und Vernetzung
  • Spaß, Flow-Erlebnisse, Freude, Befriedigung.

Gerade in der modernen Arbeitswelt lassen sich Arbeit und Spiel oft nicht mehr scharf voneinander trennen, z. B. beim Sport, in der Unterhaltungsindustrie, im Multi-Media-Bereich, beim Marketing etc. In dem Internet-Artikel „Existenz zwischen Ordnung und Chaos – ein Spiel?“ (s. https://www.wolfgang-hoffmann.info) habe ich schon darauf hingewiesen, dass die Konkurrenz in der heutigen Wirtschaft in zunehmenden Maße eine Wettkampf-Situation bewirkt. „Dieses Wettkampf-Spiel weitet sich dann meist auch auf die Mitarbeiter einer Firma aus. Es gibt noch einen weiteren Gesichtspunkt, der es nahe legt, Arbeit aus der Perspektive des Spiels zu betrachten. Heutzutage wird viel weniger für den notwendigen Gebrauch, dafür aber mehr für den Überfluss, für den Luxus und für den Spaß produziert! Arbeit dient dann häufig dem Spiel! Selbst Firmen, die einen praktischen Gebrauchsgegenstand herstellen, bieten zugleich Erlebniswelten an bis hin zum Funpark (z. B. VW). Die Erlebnis- und Spaßgesellschaft ist auch eine Spieler-Gesellschaft!

Für viele Spiele ist das Eingehen eines Risikos charakteristisch. Zumindest besteht fast bei jedem Spiel das Risiko, das Spiel verlieren zu können – abgesehen von Gedanken-Spielen.
Mit einer Spieler-Mentalität wird Risikobereitschaft gefördert. Diese muss der Produzent eingehen, wenn er investiert und neue Produkte entwickelt und diese  benötigt der Konsument, wenn er sich z. B. in ein Auto setzt, um nur aus Spaß durch die Gegend zu fahren, oder wenn er eine Hypothek für sein (nicht lebensnotwendiges) Eigenheim aufnimmt. Aber auch der Eigentümer der Produktionsstätte, der Aktionär ist ein Spieler, wenn er mit seinem Geld spekuliert. Alle folgen dem Motto: No risk – no fun!

Dadurch, dass sich in vielen Bereichen einerseits das Arbeitsprodukt und seine notwendige Bedarfs-Erfordernis und andererseits auch die Produktionsstätte (Firma) und deren Besitzer (Aktionäre) oft soweit voneinander entfernt haben, werden sowohl Produkte als auch Produktionsstätten zu „Spielbällen“, was in der jetzigen Wirtschaftskrise besonders deutlich wird.
Arbeit und Spiel verhalten sich also nur auf den ersten Blick genauso gegensätzlich zueinander wie Ernst und Spaß. Arbeit kann immerhin  – wie das Spiel –  Spaß machen. Bei vielen Künstlern und Wissenschaftlern lagen schon immer Arbeit, Spiel und Spaß nahe bei einander. Mihaly Csikszentmihalyi stellte fest, dass Nobelpreisträger und andere kreative Persönlichkeiten der Meinung waren, sie hätten eigentlich in jeder Minute ihres Lebens gearbeitet. Genau so gut ließe sich aber auch sagen, dass sie keinen Tag in ihrem Leben gearbeitet hätten (13). Die Arbeit war für diese Personen offenbar nicht lästig, sondern lustvoll – vielleicht wie ein Spiel. Der „Flow“-Forscher Csikszentmihlyi weist darauf hin, dass Arbeit viel eher Spielcharakter hat als die meisten anderen Tätigkeiten; denn bei beiden gibt es:

  • klare Ziele und Ausführungsregeln
  • Feedback
  • Konzentration und keine Ablenkung
  • Kontrolle über die Aufgabenerledigung.

Insbesondere hat die künstlerische und die wissenschaftliche Arbeit viel mit dem Spiel gemeinsam. Sie widmet sich zyklusartig bestimmten Projekten. Sie weist oft eine gewisse Freiwilligkeit auf, sie gewährt einen Handlungsfreiraum, sie bietet Möglichkeiten, seine  Kreativität entfalten zu können, und sie vermittelt relativ häufig Befriedigung, „Flow“-Erlebnisse und Freude an den Ergebnissen. Gerade bei künstlerischer und wissenschaftlicher Arbeit wird  mit jeder vollendeten Arbeitsphase ein Zuwachs an Erfahrungen und Fähigkeiten gewonnen, der für den weiteren beruflichen Werdegang förderlich ist. Künstlerische und wissenschaftliche Arbeit weist also sehr häufig fast alle Aspekte eines „Spiels“ auf.

Moderne Arbeit erfordert immer weniger eine auf die ganze Lebensarbeitszeit ausgerichtete Berufausbildung, dafür aber immer mehr Flexibilität und  Ausweitung der Fertigkeiten, um einen neuen Arbeitszyklus beginnen zu können. Nach Steinbuch ist die Bereitschaft des Menschen, sich belehren zu lassen, gering. Dagegen ist sein Spieltrieb unbändig. Daher lernt er spielend am leichtesten. Das Spiel bietet – wie das Kinderspiel – die Möglichkeit, sich die heute geforderte Flexibilität und Beherrschung immer neuer Fertigkeiten anzueignen. Flexibilität und Kreativität ist heutzutage so gefragt wie nie zuvor, weil es immer seltener eine lebenslange Fixierung auf eine bestimmte Arbeit geben wird und Beruf immer weniger als Berufung angesehen werden kann, sondern nur noch als Job. Das Spiel macht zudem den Menschen offen für die Gemeinschaft der Mitspieler und fördert somit die soziale Vernetzung. Moderne Arbeit ist sehr stark auf dynamische Kommunikation und soziale Kooperation ausgerichtet. Man spricht sogar von einem globalen „Kommunikations-Zeitalter“. Der Computer und das Internet sind die Spielwiese und zugleich Kulturplattform und Arbeitsfeld für den „global player“. Wieder besteht also eine Parallele zum Spiel.

Inwieweit Unabhängigkeit von äußeren Zwecksetzungen und Zwängen, Handlungsfreiheit und Spaß bei der Arbeit realisierbar sind, hängt sehr stark von den Arbeitsbedingungen, aber auch von der inneren Einstellung des Arbeitenden ab! Es gibt Beispiele, die Menschen uns geschenkt haben, die zeigten, dass selbst unter extremen Arbeitsbedingungen mit viel Zwang, wenig Handlungsfreiheit und fehlendem „Spaß“  Arbeit gewissermaßen als Spiel aufgefasst und dadurch besser bewältigt werden kann.

Beispiel 1: Fließband-Arbeiter Rico

Als erstes derartiges Beispiel möchte ich das Spiel-Verhalten des Fließbandarbeiters Rico anführen, das Csikszentmihlyi in seinem Buch „Lebe gut!“ beschreibt. Rico hatte am Fließband vierhundertmal am Tag im 43 Sekunden-Takt das Lautsprechersystem von Kameras zu prüfen – eigentlich eine langweilige Arbeit. Aber „mit der Eleganz eines Virtuosen“ experimentierte er solange, bis er die Überprüfungszeit jeder Kamera auf 28 Sekunden gesenkt hatte. „Auf diesen Erfolg war er ebenso stolz, wie es ein Olympiasportler gewesen wäre, wenn er die gleiche Anzahl von Jahren damit verbracht hätte, die 44-Sekunden-Marke im 100-Meter-Lauf zu unterschreiten.“  Rico stimulierte übrigens dieser Erfolg, sich in einer Abendschule in Elektrotechnik beruflich weiter zu bilden.

Beispiel 2: Frankl im KZ

Ein Beispiel für ein Spielanalogon unter Extrembedingungen findet sich in Viktor Frankls Buch „Trotzdem Ja zum Leben sagen“. Frankl schreibt, er habe sich während der mörderischen Arbeit im KZ intensiv vorgestellt, er würde in einem gepflegten Hörsaal einen Vortrag halten über das, was er da gerade bei dieser Arbeit erlebt. Er behauptet, dass es ihm infolge dieses Gedanken-„Spiels“ gelang, sich von der ganzen Pein ein wenig zu distanzieren und so einen wichtigen Beitrag zu seinem Überleben zu leisten.

Diese beiden Beispiele zeigen uns, dass es vorteilhaft sein kann, auch da noch bei der Arbeit nach Spiel-Aspekten zu suchen, wo wir gewöhnlich die gedankliche Verknüpfung mit einem „Spiel“ weit von uns weisen würden. Gar zu häufig pflegen wir das Spiel abzuwerten und es ausschließlich als etwas nicht Ernsthaftes, nicht Nützliches oder gar Verwerfliches anzusehen – wahrscheinlich eine Folge der sich immer stärker durchsetzenden calvinistischen und pietistischen bürgerlichen Arbeitsethik, denn bis in das 18. Jahrhundert hatte das Spiel – zumindest in der höfischen Kultur – einen beachtlichen Stellenwert.

Nicht bei jeder Arbeit mag die Verknüpfung mit dem Spiel gelingen. Natürlich kann man auch nicht unter Zwang spielen und Spaß haben“(10).  Es lohnt sich aber, bei fast jeder Arbeit nach vielleicht verborgenen Spiel-Momenten zu suchen, denn das Entdecken von Spielaspekten bei der Arbeit macht

  • die Arbeit weniger beengend
  • die Arbeit spannender
  • mehr Spaß und Freude bei der Arbeit
  • flexibler und kreativer (s. Beispiel „Rico“)  Arbeitsbelastungen, Frustrationen und Misserfolge erträglicher  (s. Beispiel „Frankl“)

Wenn ich bei meiner Arbeit Spielaspekte entdecke, fühle ich mich wahrscheinlich freier. Ich weiß, dass ich dann bei der Arbeit wie beim Spiel auch mit dem Unerwünschten und Unerwarteten rechnen muss. Da ganz offensichtlich eine wichtige Ursache des Burnout-Syndroms darin liegt, dass ich hinsichtlich meiner Arbeit unrealistische Erwartungen habe, dass ich keine Grenzen zu ziehen vermag dass ich nicht genügend Distanz zu meiner Arbeit habe und dass ich mich von den Anforderungen unterkriegen lasse, ist es natürlich außerordentlich heilsam, wenn es mir gelingt, bei meiner Arbeit neben aller Belastung auch Spielaspekte zu entdecken. Wenn ich mich an dem Spiel „Arbeit“ beteilige, so muss ich mich den Spielregeln unterwerfen und das Spiel- Risiko mittragen, schlimmstenfalls sogar das Risiko , aus dem Spiel rausgeworfen zu werden, d. h. arbeitslos zu werden. Damit verbunden ist aber auch die Freiheit, in einer zufällig entstandenen und vielleicht misslichen Situation kreativ deren Optimierung anzustreben. Gelingt es mir, bei der Arbeit die „Spielbrille“ aufzusetzen, so kann ich auf jeden Fall Frustrationen besser ertragen und gleichzeitig auch mehr Spaß an der Arbeit haben.

An der Arbeit nicht nur Spaß sondern auch echte Freude und wahre Befriedigung zu haben, gelingt nur, wenn für mich die Arbeit Sinn macht (Arbeitsbedeutung (12)). Arbeit mit der Bedeutung von „Spiel“ kann Sinn machen, wenn ich z. B. durch eine solche Arbeit meine Kreativität steigere. Aber Arbeit kann auch Sinn in sich tragen, wenn sie sehr mühevoll ist und Blut, Schweiß und Tränen kostet. Sinnfindung macht den Menschen auch bei einer frustrierenden Arbeit leidensfähig und sie kann sogar trotz aller Mühe und Widrigkeiten zur Lebenszufriedenheit und zum Glück beitragen. Von Csikszentmihalyi wissen wir ja, dass sich ein „Flow“-Erlebnis  bzw. ein Glücksgefühl meist erst dann einstellt, wenn man an die Grenzen seiner Leistungsfähigkeit gegangen ist.

Die Frage nach dem Sinn meiner Arbeit (Frage 16 und 17 der Selbst-Analyse) stellt daher eine Königsfrage dar; denn dadurch, dass ich bei meiner Arbeit Sinn finde und Sinn verwirkliche, beuge ich – wie Abb. 10 zeigt – auf vierfache Weise einem Burnout-Geschehen vor:

Burnout-Prophylaxe auf vierfache Weise durch Sinnfindung und Sinnverwirklichung (Wolfgang Hoffmann)
Abb. 11: Burnout-Prophylaxe auf vierfache Weise durch Sinnfindung und Sinnverwirklichung

Wenn ich mit meiner Arbeit Sinn verwirklichen kann, trage ich auch zur Weiterentwicklung meiner Persönlichkeit bei (Selbstverwirklichung nach Frankl). Wenn ich mich bei der Arbeit auf die Sinnsuche begebe, habe ich aber darauf zu achten, dass es hier, zumindest im Verständnis von Frankl, um meinen ganz persönlichen, der jeweiligen momentanen Situation angemessenen Sinn handelt, und dass es keinesfalls um die Übernahme fremder Sinn- und Wertvorstellungen geht. Die Arbeit kann dann auch nicht der Sinn der Arbeit sein, sondern sie benötigt einen höheren Grund für sich. Je höher er ist, desto besser. Es ist wie bei einem Pendel, das umso freier schwingt, je höher sein Befestigungspunkt liegt. Das Beispiel stammt bezeichnender Weise von einem Benediktiner-Mönch (P. Beda Müller). Wie bereits erwähnt – sind mir in Klöstern nie Ordensleute mit einem Burnout-Syndrom begegnet. Bei einem hohen Grund für die Arbeit sind meist viele andere nicht ganz so hohe Sinn- und Wert-Möglichkeiten mit inbegriffen, die dann auch noch tragfähig bleiben, wenn eine Sinn- bzw. Wertvorstellung nicht mehr verwirklicht werden kann, so dass man vor einer Verzweiflung bewahrt bleibt. Gerade in Klöstern versucht man den einzelnen Mitgliedern der Klostergemeinschaft darin zu schulen, keine besonderen Erwartungen, insbesondere keine (zumindest irdischen) Belohnungserwartungen, zu hegen, sondern bei der anstehenden Arbeit in Demut den (religiösen) Sinn zu suchen und zu verwirklichen; denn es gibt kein besseres Mittel, die Angst vor dem Urteil der anderen Menschen zu überwinden, als danach zu fragen, was wichtiger als diese Angst ist. Daher geht es im Prinzip bei der Klosterarbeit um „Leistung“ und nicht um „Erfolg“. Menschen, denen es gelingt, diesen Weg aufrichtig und wahrhaftig zu gehen, sind dann auch starke Persönlichkeiten.

Um einem Burnout vorzubeugen, sollten Mitarbeiter wie Führungskräfte nach P. Ostberg (6) für sich selbst folgendes tun:

  • Den Sinn des eigenen Handelns in den Mittelpunkt stellen
  • Sich vom sichtbaren und schnellen Erfolg unabhängig machen
  • Abhängigkeit von feedback und Anerkennung reduzieren
  • Das eigene Wertesystem erweitern
  • Arbeitsbelastung erträglich gestalten
  • Die Lebensführung überprüfen (Anspannung/Entspannung)
  • Das eigene Zeitmanagement überprüfen
  • Bei mangelndem Selbstvertrauen: ins Handeln kommen.
  • die Arbeitsbelastung erträglich halten,
  • genügend Freiraum für eigene Entscheidungen der Mitarbeiter lassen,
  • mit „Anerkennung“ großzügig sind,
  • Mitarbeitern mit Wertschätzung und Respekt begegnen,
  • fair und gerecht sind, besonders in der Zuteilung von Aufgaben,
  • ein Klima für eine sympathische und menschliche Gemeinschaft schaffen
  • und Mitarbeitern helfen, Sinn in ihrer Tätigkeit zu finden und den Wert der eigenen Arbeit zu schätzen.

5.3) Therapie des manifesten Burnout – Syndroms

Eine spezifische Therapie des Burnout- Syndroms gibt es nicht! Erst recht gibt es keine spezifische medikamentöse Therapie! Dagegen gibt es die Gefahr eines stärkeren Missbrauchs von Tranquilizern und „Schlafmitteln“, dem gegengesteuert werden sollte. Genauso sollte auf  andere Suchtmittel geachtet werden wie Nikotin, Alkohol und Drogen.  Da die diffusen Symptome eines Burnout-Syndroms wie Antriebsstörung, chronische Erschöpfung und Müdigkeit so unspezifisch und schlecht definierbar sind, kommen die Betroffenen meist erst sehr spät zur Therapie. Zudem sind diese diffusen Symptome als isolierte Symptome auch meist schlecht behandelbar. Folglich können die Rehabilitation und die Rückerlangung der Arbeitsfähigkeit misslingen. Erst die Folgeerkrankungen wie z. B. eine soziale Phobie oder ein depressives Syndrom sind als Symptomenkomplexe besser abgrenzbar und deswegen auch besser zu behandeln. Dann ist eine Begleitbehandlung mit Antidepressiva indiziert.

Sehr wichtig ist eine psychotherapeutische Therapie, die dem Patienten hilft aus seinem bisherigen Modus auszusteigen, unreflektierte schädliche Routinen aufzudecken, sich von seinen Illusionen zu verabschieden, Fehlschläge möglichst konstruktiv zu bewältigen, Kränkungen behutsam aufzuarbeiten, die Frustrationstoleranz zu steigern, nach erfolgreicher Trauerarbeit das Vergangene neu zu bewerten und sich mit den Gegebenheiten zu versöhnen.
Im einzelnen heißt das:

  1. Stärkung der internen und externen Ressourcenfelder: d. h. sich seiner positiven Eigenschaften, seiner Freiheit, seines Freiraums, seiner Verbündeten und Unterstützer und seiner Vorteile bewusst zu werden.
  2. Ermunterung zur Sinnsuche und Sinnverwirklichung: d. h. das eigene Wertsystem zu erweitern, sich im Leben langfristige Ziele setzen und nicht nur kurzfristige Ziele und Erfolge anstreben. Welche Vision habe ich für das nächste ½, 1 und 5 Jahre, was soll sich da geändert haben, was soll am Ende sein?
  3. Aufdecken tragfähiger sozialer Netzwerke: d. h. dem Partner, der Familie und den Freunden die größte Wichtigkeit geben und die Beziehungen zu ihnen pflegen („Erfüllende Beziehungen sind die beste Energiequelle“ (Nelting)) und Geborgenheit und Unterstützung in konstruktiven Gruppen suchen („Mitmenschen sind eigentlich die besten Ressourcen!“).
  4. Stärkung von Selbstwertgefühl und Selbstvertrauen: d. h. sich unabhängig von der Meinung anderer und der Anerkennung durch andere zu machen, Zwänge entlarven, die keine sind („ich muss“?“ich will“), sich der eigenen Muster bewusst zu werden und Unerwünschtes konsequent zu verändern, d. h. auch Grenzen ziehen können, Arbeiten delegieren können, zu seinen eigenen Schwächen stehen können.
  5. Vergrößerung der Stressresistenz, Entspannungstraining: d. h. Stressursachen zu erkennen, innere und äußere Antreiber zu identifizieren, Anti-Ärger-Programme erlernen, Ängste bewältigen, sich täglich Zeit für Entspannung und Erholung zu nehmen, Pausen einzuplanen und sich z. B. in die Natur begeben („Wer möchte leben ohne den Trost der Bäume?).
  6. Training der Entscheidungsfindung: d. h. in erster Linie Prioritäten zu setzen: was ist das wirklich Wichtige und Richtige?
  7. Kommunikationstraining und Konfliktmanagement: d. h. auch  Nein sagen zu können – ohne Schuldgefühle zu bekommen.
  8. Aufbau von Frustrations- und Kränkungstoleranz: d. h. annehmen, was nicht zu ändern ist, Coping-Strategien erlernen, seinen Humor wieder entdecken, akzeptieren und lieben lernen.
  9. Beachtung eigener Empfindungen, Gefühle & Bedürfnisse: d. h. auf den Körper hören, also die eigenen Körper-Empfindungen, Gefühle & Bedürfnisse ernstnehmen und danach handeln, für ausreichenden Schlaf und gesunde Ernährung und genügend Bewegung sorgen.
  10. Wiederentdeckung natürlicher Lustquellen: d. h. Zeiten für Hobby, Sport, Musik, Tanz, Malen Ausdruckskunst,u. a. künstlerische Aktivitäten, Besuch kultureller Veranstaltungen Meditation, Urlaub, Wandern durch die Natur, Camping, Fischen, Fischen, Fotografieren, liebevoll gelebte Sexualität etc. reservieren.

In erster Linie geht es aber darum, unangemessene Einsstellungen und destruktive Verhaltensweisen wahrzunehmen und zu korrigieren (kognitive Verhaltenstherapie),  eventuelle Traumen zu bearbeiten (z. B. autosuggestive und imaginative Verfahren), die Sinnsuche und Sinnfindung zu aktivieren, tragfähige soziale Netzwerke aufzudecken,  das Selbstwertgefühl und Selbstvertrauen zustärken, die Stressresistenz zu vergrößern (AT, PM), die Frustrations- und Kränkungstoleranz aufzubauen, das Bewusstsein für Körperempfindungen zu entwickeln, Hilfreich ist auch ein Kommunikations-, Entscheidungsfindungs- und Konfliktbearbeitungs- Training.
Das Hauptziel der Burnout-Therapie ist aber immer die Stärkung der Persönlichkeit –  einer Persönlichkeit, die die „Unbeherrschbarkeit“ akzeptiert (M. Malik), die sich zur Selbstverantwortung anstelle von Fremdbestimmtheit bekennt, die sich in sich und mit sich wohl fühlt und die zu ihrer Umwelt in einer von „Liebe getragenen Beziehung“ (M. Burisch) steht.

6) Literatur:

  1. Freudenberger, H.J. (1974). Staff burnout. Journal of Social Issues, 30, 157-165.
  2. Bergner, Thomas: „Burn-out bei Ärzten: Lebensaufgabe statt Lebens-Aufgabe“,
    Deutsches Ärzteblatt 2004 (Heft 33); 101: A 2232-2234
  3. Burisch, M. (1994): „Das Burnout-Syndrom: Theorie der inneren Erschöpfung“.
    (2. Aufl.) Berlin: Springer.
  4. Müller, Eckhart H. (1994): „Ausgebrannt – Wege aus der Krise“, Freiburg: Herder
  5. Vollmer, Helga (1996): Ich fühle mich fix und fertig“. Wien: Carl Ueberreuther
  6. Ostberg, Paul M.: Seminar über Burnout der Arbeitsgemeinschaft „Logotherapie in der
    Arbeitswelt“ der DGLE am 13.10.2007 in Würzburg
  7. Fengler; Jörg (1996 (4. Aufl.)): „Helfen macht müde“, München: Verlag J. Pfeiffer
  8. Lukas, Elisabeth (1997): „Urvertrauen gewinnen“, Freiburg i. B.: Herder
  9. Faust, Volker: https://www.psychosoziale-gesundheit.net/psychiatrie/burnout.htm
  10. Hoffmann, Wolfgang: „Von der Toleranz zur Akzeptanz“:
    https://www.wolfgang-hoffmann.info
  11. Hoffmann, Wolfgang: „Existenz zwischen Ordnung und Chaos – ein Spiel?“:
    https://www.wolfgang-hoffmann.info
  12. Hoffmann, Wolfgang: „Glück und Gesundheit“:
    https://www.wolfgang-hoffmann.info
  13. Böckmann, Walter (1987): „Sinn-orientierte Führung als Kunst der Motivation“:
    Landsberg/Lech, verlag moderne industrie
  14. Csikszentmihalyi, Mihaly (1999): “Lebe gut”, Stuttgart, Klett-Cotta

3 Comments

  1. Ganz große klasse! Seit Januar gibt es in meinem Leben nichts als „Burnout“ und darum kreisende Gedanken mit immer steigendem Frust, diese Situation und diese Gefühle nie mehr bewältigt zu bekommen. In einem Anflug von echter Frustration habe ich im Internet gegoogelt und bin auf diesen Artikel gestoßen! Toll, toll, toll. Für den Moment geht es mir jedenfalls schon mal viel besser. Ein Weg hat sich aufgetan mit Lösungsvorschlägen, die ich demnächst zu beherzigen und verinnerlichen versuchen werde.

  2. Sehr hilfreiche Denkansätze! Danke! Institutionelle Ursachen fand ich sehr spannend, denn die werden von Chefs leider sehr gerne abgestritten. Bei uns in der Mitarbeiterbetreuung haben wir bereits lange darüber diskutiert. Als Beobachterin merkt man aber, dass es Plätze im Arbeitsleben gibt, wo fast keiner lange bleibt oder fasst alle Beschäftigten nach relativ kurzer Zeit ausbrennen! ABER es gibt ja Gott sei Dank auch andere Bereiche;-)

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